Der Schatz des Störtebeker
verirrte sich. Müde, erschöpft, hungrig und von einem brennenden Durst geplagt, rief er aus: ›Ach, wer jetzt einen kühlen Trunk hätte!‹ Da tat sich der Berg vor ihm auf, und eine schöne Jungfrau trat heraus. In den Händen hielt sie ein reich verziertes Jagdhorn, in dem sich ein Trank befand. Der Graf nahm das Horn, aber er konnte sich nicht entschließen, daraus zu trinken. Er fragte die Jungfrau, was es für ein Getränk sei, doch sie wollte ihm nicht darauf antworten, sondern verlangte, er solle kosten. Der Graf hatte Angst, es konnte ja ein Zaubertrank sein oder ein schlimmes Gift. Also lehnte er ab. Das schöne Mädchen versprach ihm höchstes Glück für sein Haus, falls er das Horn austrinken würde. Wenn nicht, würden seine Nachkommen sich im Streit entzweien. Der Graf träufelte etwas von der Flüssigkeit auf das Fell seines Pferdes und sah, wie es verbrannte. Da sprang er auf sein Tier und ritt in Windeseile nach Hause zurück. Das Horn nahm er mit. Nach seinem Tod kam es zu Erbstreitigkeiten, und sein Herrschaftsgebiet wurde aufgeteilt.«
»Und was lernen wir daraus?«, fragte Nicolai.
Burchard sah Eckart an, dessen Gesichtszüge in der beginnenden Dunkelheit nur noch schemenhaft auszumachen waren.
»Wieso lernen?«, brummte der Gefragte. »Es ist eine Geschichte.«
»Geschichten sind dazu da, dass man etwas lernt, habe ich Recht?«
Burchard fühlte sich angesprochen und nickte: »Ja, ich denke schon.«
»Unsinn, Geschichten sind Geschichten«, brummte Eckart.
»Wir lernen«, schaltete sich Schwenk belustigt ein, »dass es nicht unbedingt vorteilhaft ist, ein Horn mit Gift zu verschmähen. Wer weiß, was ihm die Jungfrau noch angeboten hätte.«
»Trinke Gift und stirb glücklich!«, rief Nicolai. »Ist das die Moral von dieser Geschichte?«
Burchard schüttelte den Kopf: »Sicher nicht.«
»Sondern?«, fragte Schwenk.
»Der Graf hat richtig gehandelt und ehrenvoll.«
»Er hat sich davongemacht, feige geflohen ist er!«, rief Nicolai.
»Wer dem Teufel begegnet, handelt ehrenhaft, wenn er wegläuft«, sagte Burchard.
»Oho!«
Da tauchte die Gestalt des Kutschers wieder auf.
»Ich bin zutiefst betrübt, Ihr Herren, aber ich fürchte, Ihr müsst mit einem Bett unter freiem Himmel vorlieb nehmen.«
Die vier Reisenden blickten ihn entrüstet an. Der Kutscher zuckte hilflos mit den Schultern.
»Hat denn niemand das Schreiben gelesen?«, fragte Burchard.
»Doch…« Der Kutscher kratzte sich am Kopf.
»Und dennoch lässt man uns nicht…« Burchard war empört.
»Gestern wäre das Tor noch bis halb neun offen gewesen«, der Kutscher trat von einem Bein aufs andere.
»Dann ist es deine Schuld, weil du nicht dafür gesorgt hast, dass deine Kutsche rechtzeitig ankommt!«
Der Kutscher blickte zu Boden.
Burchard bemerkte, dass drei Augenpaare ihn anblickten. Er seufzte. Seine Mitreisenden gingen offenbar davon aus, dass er die Angelegenheit regeln sollte.
»Wo ist der Brief?«, fragte er den Kutscher.
»Der Posten hat ihn behalten.«
»Der Posten? Herrgott!«
Wütend machte sich Burchard auf den Weg zum Tor, besser gesagt zu den Toren, denn an dieser Stelle der Stadtmauer lagen zwei Tore nebeneinander, dazwischen ein kleiner Vorbau, vor dem eine Fackel brannte und aus dem nun der Wachposten trat, ein kleiner gedrungen wirkender Kerl mit krummen Beinen und einem unbotmäßig frechen Gesichtsausdruck.
»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?«
»Mein Kutscher hat dir mein Empfehlungsschreiben überreicht. Wir wollen in die Stadt.«
»Das Tor ist seit acht Uhr geschlossen.«
»So öffne es.«
»Dazu bin ich nicht befugt.«
»Ich befehle es dir.«
»Dazu seid Ihr nicht befugt.«
»Das bin ich wohl. Wo ist das Schreiben des Fürstbisrhofs?«
»Wenn Ihr wollt, gebe ich es Euch zurück.«
»Hast du es gelesen?«
»Warum sollte ich? Ich kenne nicht mal das Siegel.«
»Es ist das Siegel deines neuen Herrn.«
»Wer soll das sein?«
»Der Fürstbischof.«
»Wir haben schon lange keinen Herrn mehr gehabt.«
»Jetzt habt ihr einen.«
»Einen Moment.«
Der Wachposten verschwand in seinem Bau und kam mit dem erbrochenen Schreiben wieder hervor. Er hielt es in den flackernden Schein der Fackel und tat so, als lese er. Dabei hielt er den Brief verkehrt herum. Er starrte sehr lange darauf, wobei er den Brief immer wieder neu anzufangen schien.
»Hm.«
Burchard suchte in seinem Frack nach einigen Münzen und reichte sie dem Mann. Der betrachtete sie genau. Und deutete auf eine.
»Ist
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