Der Schatz des Störtebeker
Händen und Füßen, glitt das Kreuz hinab und ging weg.
Jetzt steht Burchard schweißüberströmt und vor Kälte zitternd am Fenster. Der Mond ist ein ganzes Stück weit nach Westen gewandert. Unten im Hof taucht eine Gestalt auf. Im Schatten, den die Hofmauer im Licht des Mondes wirft, wartet sie. Sie wartet auf ihn, das ist ihm jetzt ganz klar. Er fasst nach seiner Hose, schlüpft eilig in die Stiefel, packt seinen Frack und läuft nach draußen. Den Flur entlang, die Treppe hinab. Es ist sehr dunkel, aber er findet den Weg, stößt die Tür auf, die zum Hof führt, sie quietscht nur ganz leise. Nach rechts oder nach links? Wo ist sie? Stand sie nicht eben noch dort drüben? Ah, das Tor in der Hofmauer steht auf. Langsam, er will niemanden wecken, niemanden erschrecken, geht er auf das halb geöffnete Tor zu, stößt es auf. Das morsche Holz ächzt leise. Draußen auf der Gasse kann er gerade noch einen Schimmer des hellen Kleids und ihrer Haube ausmachen, dann ist sie um eine Ecke verschwunden. Er läuft ihr hinterher, erreicht die Ecke, bleibt stehen, um sich zu orientieren, und sieht nicht mehr ganz so weit vor sich ihre Gestalt, die dem mächtigen Gebäude der Kirche zustrebt.
Sie umrundet das Kirchenportal und betritt den Friedhof, nachdem sie ein knarrendes Törchen geöffnet hat. Zwischen den hohen Grabmalen und breiten Grabsteinen, den Bäumen und Hecken verliert er sie beinahe. Dann sieht er sie vor einem Grabmal stehen, über dessen breitem Sockel sich die Skulptur eines Mannes in mittelalterlichen Gewändern erhebt. Endlich bleibt sie stehen, blickt sich um. Er ruft leise: »Marie!« Sie dreht sich um: »Wo bist du?«
»Hier.« Und schon steht er vor ihr, schlingt seine Arme um sie, bedeckt ihr Gesicht, ihren Hals, ihre Brust mit Küssen, fasst nach der Brosche, sie reißt ab. Marie schreit auf, will sich von ihm losmachen. »Zier dich doch nicht. Du bist mein!« Er hält sie fest. Das Brusttuch zerreißt, ebenso das Kleid. Er umklammert sie so fest, dass sie laut aufstöhnt. Es klingt wie ein »Ja, ich will!« Da packt ihn eine eiserne Hand von hinten an der Schulter, und er wird herumgerissen.
Er schreit laut auf vor Überraschung und Enttäuschung, vor Wut und Erniedrigung. Den Faustschlag des Stadtwächters sieht er nicht kommen, spürt nur die brutale Wucht und taumelt nach hinten gegen das Grabmal. Der Soldat tänzelt auf seinen krummen Beinen und mit einem hämisch verzerrten Gesichtsausdruck vor ihm herum und verpasst ihm weitere Schläge und Tritte. Burchard tastet nach seinem Gürtel, aber er hat es versäumt, seinen Degen umzuschnallen. Er ist der stummen Wut dieses gedrungenen Kerls ausgeliefert. Blut schießt ihm aus der Nase, rinnt von einer Platzwunde auf der Stirn in sein Auge.
Wo ist Marie? Burchard dreht sich hilflos um die eigene Achse, strauchelt. Und da steht der Kerl wieder vor ihm. Burchard bricht zur Seite aus und rennt los. Hinter sich hört er Schritte. Er rennt weiter, springt über den kleinen Eisenzaun, der den Friedhof umgibt, schafft es nicht, die richtige Richtung einzuschlagen, läuft japsend und keuchend in eine dunkle Gasse und immer weiter und weiter, hat keine Kraft mehr, nach Hilfe zu rufen, biegt um eine Ecke und sieht vor sich die Stadtmauer und den Turm neben dem Haupttor. Er wird immer langsamer. Hinter ihm nähern sich die hallenden Schritte des Wächters. Wo sind die anderen Soldaten? Es muss doch hier irgendwo jemand sein, der ihm helfen kann. Er will um Hilfe rufen, versucht zu schreien, aber nur ein leises Krächzen kommt aus seinem schmerzenden Hals.
Er rennt eine Treppe hinauf und erreicht den Wehrgang oben auf der Stadtmauer. Hier irgendwo muss doch jemand sein. Rennt weiter auf den Turm zu. Aber dort vorn, jenseits der Nische des Wachpostens, geht es nicht weiter. Er hält an, dreht sich um und spürt augenblicklich einen dumpfen Schlag gegen die Brust, und dann ist der Wärter über ihm, schlägt auf ihn ein und beschimpft ihn.
Vielleicht will er ja nur die Brosche haben, denkt Burchard, während er die harten Schläge, die auf seinen Kopf prasseln, immer weniger wahrnimmt. Er hält ihm die Hand hin. Da! Nimm doch bitte! Der Wächter fasst nach seiner Hand, aber das Schmuckstück befindet sich nicht mehr darin.
Nach einigen weiteren Schlägen war Burchard bewusstlos. Der Wächter hob ihn hoch, schleppte ihn ein Stück weiter, zögerte, dann warf er ihn über die Mauer. Er taumelte in die Wachnische und setzte sich hin. Er starrte auf seine von
Weitere Kostenlose Bücher