Der Schatz des Störtebeker
den Faustschlägen angeschwollenen, schmerzenden Hände und dämmerte eine Weile vor sich hin. Er hörte Stimmen. Seine Kameraden vom Wachdienst näherten sich. Nun bekam er Angst. Womöglich war dieser Hänfling, den er über die Mauer geworfen hatte, tot. Er duckte sich, wartete ab, bis die Wächter vorbei waren, und verließ dann sein Versteck.
Im Morgengrauen wurde er verhaftet. Burchard war tatsächlich tot. Genickbruch. Der Wächter wurde des Mordes angeklagt. Nachdem sie die übel zugerichtete Leiche des unglücklichen Archivars gesehen hatte, entschloss sich Marie, gegen ihren eifersüchtigen Liebhaber auszusagen. Er hatte Glück: Weil er Soldat war, wurde er nicht gehängt, man schlug ihm auch nicht den Kopf ab, sondern verurteilte ihn zum würdevolleren Tod durch Erschießen.
Wenig später begannen die Herren Eckart, Nicolai und Schwenk mit den konkreten Planungen zur Umgestaltung von Schloss und Stadt. Vor allem, entschieden sie, musste die Stadtmauer geschliffen werden. Dank des waffentechnischen Fortschritts war sie überflüssig geworden und verhinderte nur das Wachstum des unter der neuen Herrschaft bald wieder aufblühenden Gemeinwesens.
Burchard wurde auf dem Friedhof im Stadtzentrum beigesetzt. Bis zu dessen Aufhebung siebzehn Jahre später wurde jedes Jahr zu seinem Todestag von unbekannter Hand eine weiße Nelke auf das Grab gelegt.
23. FEBRUAR SPÄTNACHMITTAGS
Schimpfend und fluchend angesichts des miserablen Autofahrwetters und dennoch mit überhöhter Geschwindigkeit rasten die Detektive im schwarzen BMW Richtung Hamburg. Jens Discher hatte sich in sein Schicksal gefügt und es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht. Er überlegte unkonzentriert, wie er sich aus dieser Situation herauslavieren könnte. Es dürfte unangenehm werden, mit diesen beiden schrägen Figuren bei Marie-Christin aufzukreuzen. Sie hatte sowieso schon die denkbar schlechteste Meinung von ihm, und nun würde er auch noch von zwei merkwürdigen, auf jeden Fall unseriösen Detektiven vorgeführt. Peinlich war das in jedem Fall. Aber wie wollte er das vermeiden? Vielleicht war Marie-Christin gerade bei einer Nachbarin zur Bridgeparty. Dann würden diese Heinis sich wahrscheinlich auf die Lauer legen. Auch keine großartige Aussicht. Und Greta? Wer weiß, wo die sich rumtrieb. Sie würde ihm auf jeden Fall die Hölle heiß machen, weil er vergessen hatte, sie vom Bahnhof abzuholen.
Nachdenken brachte nicht viel. Er starrte nach draußen und begann, zum Zeitvertreib die Kneipen zu zählen, an denen sie vorbeifuhren. Es gab fast nur norddeutsche Traditionslokale und griechische Tavernen. Er stellte fest, dass die Griechen in der Überzahl waren. Gyros schlägt Grünkohl, Ouzo bannt Köm – was sagt uns das über die Gemütslage der Bewohner der Norddeutschen Tiefebene?
Als sie die Elbbrücken erreichten, beruhigten sich die beiden Macintosh-Träger. Endlich konnte man ihnen mal eine tief schürfende Frage stellen. Er beugte sich nach vorn und strich sich die langen grauen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
»Wie wird man eigentlich Angestellter einer so hochnoblen Agentur wie der Detektei Hanseat?«, fragte er neugierig. »Ich kenne Detektive nur aus Kriminalromanen. Kann’s gar nicht glauben, mal ein paar echten zu begegnen.«
»Wir sind keine Angestellten«, sagte Kulbrod, der auf dem Beifahrersitz saß.
»Das ist unser eigener Betrieb«, erklärte Rümker.
»Ach«, staunte Discher, »Sie beide sind die Agentur, vor der ich mich so fürchte?«
»Sie müssen sich nicht fürchten. Aber: Ja, wir sind die Agentur.« Kulbrod drehte sich zu Discher um.
»Kann man denn einfach so eine Agentur aufmachen, ich meine eine Detektivagentur?«
»Im Prinzip ja, wenn man ein sauberes Führungszeugnis hat.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt.«
»Wenn man in die Vereinigung deutscher Detektivagenturen aufgenommen werden will, muss man allerdings sein Geschäftsgebaren offen legen und einen Test mitmachen.«
»Und? Wurden Sie aufgenommen?«
»Klar.« Das klang nicht sehr überzeugend. Kulbrods Gesichtszüge gerieten in eine leichte Schieflage.
Rümker gluckste vor sich hin: »Man kann sogar dem Verband weiblicher Detektive beitreten, wenn man will. Aber dann muss man eine Haarprobe abgeben.«
»Und haben Sie?«
»Quatsch«, sagte Kulbrod.
»Und wie qualifiziert man sich für diesen Job? Ich meine, die Kunden wollen doch Topleute bei diesen kniffligen Aufträgen haben, oder? Waren Sie mal bei der Polizei? Hat man sie
Weitere Kostenlose Bücher