Der Schatz des Störtebeker
Bauarbeiten sollten bald beginnen. Vorher aber war es Burchards Aufgabe, eine Inventarliste der Wertgegenstände in dem größtenteils verlassenen Schloss anzufertigen.
Er betätigte den Türklopfer und wartete. Der momentane Verwalter, ein buckliges Männchen in Schwarz mit grau gepuderter Perücke und einem Gehstock, öffnete und sah ihn fragend an. Sein Gesicht ähnelte den seltsamen Fratzen, die die Vorderfront des Schlosses zierten. Burchard stellte sich vor, übergab das Schreiben des Fürstbischofs, das ihn legitimierte, und wurde eingelassen. Der Bucklige führte ihn durch die Räume, die größtenteils einen unwohnlichen Eindruck machten. Einige waren ganz leer, andere eher Lagerräume für allerlei Möbel und Kunstgegenstände, in manchen hatte man mit Umbauarbeiten begonnen, die wieder abgebrochen worden waren. Schief hängende Bilder, verstaubte Sessel, angeschlagene Schränke überall. Aber auch komplett eingerichtete Zimmer gab es, mit Kommoden und Vitrinen, in denen ledergebundene Folianten, Porzellan und Kunstgegenstände darauf warteten, endlich wieder von einem Herrscher in Besitz genommen zu werden.
Burchard spürte, wie angesichts der anstrengenden Archivararbeit, die auf ihn zukam, eine bleierne Müdigkeit in ihm aufstieg. Er würde morgen anfangen, morgen, nicht heute…
Sein Blick fiel auf ein Bild, das leicht schief an der Wand hing. Darauf war eine junge Frau mit weitem Dekolletee zu sehen, die einen seltsam geformten Gegenstand in der Hand hielt. Neugierig trat er näher. Der Gegenstand, den die Jungfrau in der Hand hielt, war ein reich verziertes, auf vier Füßen ruhendes, mit einem Deckel verschlossenes, silbernes Trinkgefäß mit schwarzen, blauen, grünen und roten Emailleeinlagen. Die detailreiche Verzierung zeigte mittelalterliche Burganlagen mit Türmen und Zinnen und darauf sitzend oder stehend Edelfräulein, Ritter, Wächter, Musikanten, Reiter, wilde Männer und Löwen. Es handelte sich um ein Trinkhorn. Die Fußstützen sahen wie Burgeingänge aus, und der Deckel bestand aus einer Burgenpyramide mit fünf steil aufragenden Ecktürmen. Kein Zweifel, dies musste das sagenumwobene Horn des alten Grafen sein. Das Horn, das ihm die Jungfrau reichte, die aus dem Berg getreten war. Das Horn, das er nicht austrinken wollte. Das Horn, das Zwietracht in dem alten Herrschergeschlecht gesät hatte.
Burchard konnte sich nicht von dem Bild losreißen. Vielleicht befand sich das Horn auch hier irgendwo in einer Vitrine im Schloss. Vielleicht würde er es finden. Er ging los und durchmaß Zimmer auf Zimmer. Jeden Schrank öffnete er, jede Schublade zog er heraus, jede Vitrine unterzog er einer genauen Betrachtung, vergeblich.
Enttäuscht gab er auf. Wieder stellte sich diese bleierne Müdigkeit ein. Und Hunger. Er verließ das Schloss und eilte zu seiner Herberge zurück.
Burchards Begleiter ließen es langsam angehen. Am späten Nachmittag erschienen sie einer nach dem anderen in der Gaststube und machten sich über einen Topf mit Bohnen, Kochbirnen und Speck her. Dazu aßen sie Brot, über dessen Trockenheit sie sich so lange beschwerten, bis der Wirt ihnen Bier brachte. Danach gingen sie los, »nur um uns die Füße ein wenig zu vertreten«, spazierten um das Schloss und kamen mit der Erkenntnis zurück, dass dem herrschaftlichen Gebäudekomplex etwas Entscheidendes fehlte, nämlich der Schlossgarten. Nicolai und Schwenk witterten die Chance, sich mit der Anlage eines solchen Parks in den Annalen der Stadt zu verewigen. Sie überboten sich mit Ideen, stellten fest, dass sie gegensätzliche Ansichten vertraten, und begannen, lustvoll über die Vorzüge englischer und französischer Gartenarchitektur zu debattieren.
Burchard berichtete Eckart von Mobiliar und Kunstgegenständen, die er in Augenschein genommen hatte, und kam schließlich auf das Horn zu sprechen, das er mit wachsender Begeisterung beschrieb, bis er merkte, dass seine Zuhörer desinteressiert an ihm vorbeisahen. Er hielt inne.
Der Arbeitseifer der vier Herren erlahmte schnell, und man ließ sich vom Wirt verschiedene Brettspiele bringen, später stiegen sie auf Domino um. So vertrieben sie sich die Zeit bis zum Abendessen.
Nachdem die hohen Herren sich über seine karge Küche beschwert hatten, war der Wirt losgegangen, um für angemessene Speisen zu sorgen. Zum Abendessen gab es nach einer Hühnersuppe gebratenen Hecht, Hühnerfrikassee, Hasenwildbret, Erbsenpüree, Speck mit Wurzeln, Lammbraten, weiße Bohnen und zum
Weitere Kostenlose Bücher