Der Schatz des Störtebeker
zwischen den Booten. Einige hatten schon losgemacht, andere würden bald folgen. Sie hofften auf einen guten Fang in einer ruhigen Nacht.
Als er eins ihrer Boote auf sich zukommen sah, ruderte er zurück. Hinter einem großen Felsen wartete er ab, bis es vorbei war. Er blieb länger dort in der Nähe des mächtigen Steins. Zahlreiche Möwen hatten sich darauf versammelt. Die Felsbrocken waren von den Gletschern der Eiszeit hierher geschoben worden, vor unendlich langer Zeit. Damals hatte es noch keine Menschen gegeben. Das musste eine friedliche Welt gewesen sein.
War es möglich, dass die Vögel dort brüteten? In dieser finsteren Zeit für Nachwuchs sorgten? War es nicht längst vorbei mit dem Kinderkriegen? Hatten sich die Menschen das Recht auf Fortpflanzung und Weiterleben nicht selbst genommen? Vier Jahre lang hatte Anton die Menschen nur als Verursacher größtmöglicher Zerstörung erlebt. Als teuflische Kreaturen, die Städte in Schutt und Asche legten, sich gegenseitig abschlachteten, den Erdboden verwüsteten und alles ausmerzten, was sich ihnen in den Weg stellte. »Die Krone der Schöpfung ist der Panzer«, hatte einer seiner Kameraden, ein ehemaliger Professor, der es nicht mal bis zum Unteroffizier geschafft hatte, gewitzelt, »einen Eisenkäfer hatte Gott im Auge, als er die Evolution angeleiert hat, glaub mir.« Der Professor war irgendwo im Schlamm vor Stalingrad stecken geblieben, ohne Panzer, auch nicht als Käfer, sondern einfach nur als nutzloses Stück Fleisch, zerfetzt, zerschlagen, zerbrochen.
Anton merkte, wie ihn etwas in seiner Kehle würgte. Er stieß das Boot mit dem Ruder vom Felsen ab und ruderte vom Ufer weg. Eine plötzliche Müdigkeit hatte ihn übermannt. Er bereute, dass er so weit gefahren war. Was für ein Unsinn, er wollte doch Fische fangen! Er machte sich auf den Rückweg und suchte sich eine gute Stelle, die ihm einst sein Vater gezeigt hatte. Dort warf er die beiden Angeln aus. Es dauerte nicht lange, und er hatte zwei Dorsche gefangen. Er zog sie aus dem Wasser, packte sie am Schwanz und schlug sie mit dem Kopf gegen die Bootswand. Er musste nur einmal zuschlagen, und sie waren tot. Dann ruderte er zurück.
Er zog das Boot aus dem Wasser und trug seine Beute und die Angeln in die Hütte. Neben dem Ofen lagen einige Holzscheite und eine kleine Axt. Er spaltete ein paar Späne ab, fand etwas Papier und entzündete ein Feuer. Während der Ofen warm wurde, nahm er die beiden Fisch aus, zog die Haut ab und filetierte sie. Er war nicht mehr so geschickt dabei wie früher, es dauerte länger, ging aber noch ganz gut. Er schnitt die Filetstücke zurecht und garte sie in der Pfanne. Es roch verbrannt. Er musste mehrere Pfannen hintereinander braten, dann waren alle Filets gegart. Er schichtete sie auf einen Teller, den er auf den Tisch stellte, dann stellte er einen zweiten Teller dazu, Messer und Gabel, ein Glas mit Regenwasser, und begann zu essen. Es schmeckte nicht, aber er aß trotzdem alles auf. Es war zu viel. Ein Fisch hätte genügt. Ihm wurde übel. Er legte sich aufs Bett. Einfach schlafen, das war jetzt das Beste.
Aber es ging nicht. Zunächst lag er mit offenen Augen da, unruhig, unbequem, von der Last des Fisches in seinem Magen niedergedrückt. Dann dämmerte er weg und träumte, er läge immer noch wach da. Schließlich träumte er, er würde einschlafen, schreckte auf und war wieder ganz wach. Seine Gedanken irrten ziellos kreuz und quer dahin im Niemandsland zwischen der untersten Stufe des Wachseins und dem halb ohnmächtigen Taumeln am Abgrund des Tiefschlafs. Irgendwann rollten die Panzer auf ihn zu, über ihn hinweg. Er steckte bis zum Hals in einem Berg aus menschlichen Gebeinen, über den sich Panzer mit laut aufheulenden Motoren bewegten und die Schädelknochen unter sich mit ihren Stahlketten zu Staub zermahlten. Als die Ketten direkt auf ihn zukamen, schrie er laut auf vor Entsetzen und wachte jäh auf.
Neben ihm auf dem Stuhl, den sie sich an sein Lager herangezogen hatte, saß die Meerjungfrau. Sie legte ihre kalte, nach Seetang und Algen duftende Hand auf seine heiße Stirn und sagte: »Hab keine Angst, mein kleiner Anton, es ist alles nur ein Traum in einem Traum.«
Dann gab sie ihm einen Klaps auf die Wange und sagte: »Ich bin böse mit dir.«
»Warum?«
»Du hast die Fische getötet.«
»Aber ich hatte Hunger.«
»Jetzt hast du Bauchschmerzen.«
»Ja.«
»Siehst du.«
»Aber…«
»Schlimme Bauchschmerzen.«
»Ja, es wird immer
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