Der Schatz des Störtebeker
schlimmer.«
»Sie wollten nicht sterben.«
»Aber…«
»Spürst du sie?«
»Ja.«
Es rumorte in seinem Bauch. Ein krampfartiger Schmerz, als wäre etwas zum Zerreißen gespannt. Als würde etwas zerreißen. Er spürte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach.
»Sie wollen raus«, sagte die Meerjungfrau. »Die Fische wollen raus.«
Er spürte, wie sie in seiner Kehle nach oben zappelten. Er warf die Decke von sich und sprang auf.
»Schnell«, sagte die Meerjungfrau. »Lass sie raus.«
Er stürzte zur Tür, riss sie auf, taumelte nach draußen, fiel in den Sand, kniete, beugte sich nach vorn, und da brach es aus ihm heraus: lauter kleine silbrig glänzende Fische. Hatte er tatsächlich so viele Fische gegessen? Natürlich waren das zu viele gewesen! Wie hatte das nur passieren können? Er scharrte Sand über die Stelle, wo er die toten Fische erbrochen hatte, und stand auf.
Die Meerjungfrau war verschwunden. Er trottete in die Hütte zurück und legte sich wieder aufs Bett. Ihn fröstelte. Er zog sich die Decke über und schlief ein.
Am nächsten Tag machte er sich wieder daran, die Netze zu reparieren. Es war noch immer windstill. Irgendwann nach Mittag hörte er das Geräusch eines Motors. Wenig später sah er Ludwig am Wasser entlang auf sich zukommen.
»Guten Tag, Anton. Geht’s dir heute besser?«
»Ja.«
Ludwig setzte sich auf einen Stein.
»Du siehst blass aus. Schlecht geschlafen?«
»Ja.«
»Kommst du zurecht, hier so ganz allein?«
»Ja.«
»Ich hab dir wieder ein paar Stullen mitgebracht.« Ludwig zog ein kleines Päckchen aus der Jackentasche. »Mit Grüßen von Susi.«
»Mir ist nicht gut.«
»Heb’s dir auf.« Er legte das Stullenpaket auf einen Stein. »Von irgendwas musst du ja leben.«
»Ja, gut.«
»Du bist draußen gewesen? Man hat dich gesehen.«
»Ja.«
»Was gefangen?«
»Zwei Dorsche.«
»Na ja, solange es nur zwei Dorsche sind. Aber die Jungs drüben hoffen, dass du ihnen nicht in die Quere kommst. Vielleicht solltest du sowieso mal drüber nachdenken. Ich meine, wenn du bleibst, musst du dich natürlich den anderen anschließen.«
»Ich will nicht mehr fischen.«
»Warum reparierst du dann deine Netze?«
Ja, warum?
»Hör zu. Die Fischer drüben können noch Verstärkung gebrauchen. Wir bauen das Land neu auf. Die Arbeiter müssen essen. Fisch ist gesund. Fisch ist Zukunft.«
»Ja.«
Ludwig sah Anton stirnrunzelnd an: »Hör mal, vielleicht solltest du einfach mitkommen. Wir bringen dich schon irgendwo unter. Dann kannst du dir überlegen, was du anpacken willst.«
»Nein, ich bleibe hier.«
»Du siehst krank aus, Anton. Warum kommst du nicht mit? Ich könnte noch Verstärkung brauchen, aber das liegt natürlich bei dir. Das ganze Fischereiwesen wird umstrukturiert. Das ist eine Heidenarbeit. Sind ja nicht alle gleich einsichtig und kapieren, dass das die Zukunft ist.«
»Ja.«
»Also kommst du mit?«
»Nein.«
Ludwig zog die Thermoskanne aus der anderen Jackentasche. »Hier. Hätte ich beinahe vergessen. Du kannst sie behalten, wenn du den Tee nicht gleich austrinken willst. Ich hol sie dann morgen wieder ab.«
Er stand auf. Sein Blick fiel auf die Brosche, die Anton sich an seiner Jacke festgemacht hatte.
»Was ist das da eigentlich?«
»Eine Brosche.«
»Gefunden?«
»Eine Meerjungfrau hat sie mir geschenkt.«
Ludwig lachte amüsiert. Dann wurde er ernst: »Silber? Genau genommen müssen alle wertvollen Fundsachen gemeldet werden.«
Anton legte seine Hand über die Brosche. »Ich hab sie geschenkt bekommen.«
Ludwig wehrte lächelnd ab. »Schon gut, war nicht so gemeint. Nur für den Fall, dass es wertvoll ist… falls du auf einem Schatz sitzt… Vielleicht hast Du ja einen aus dem Wasser gezogen oder in einer Höhle gefunden… soll ja hier irgendwo versteckt sein, in den Felsen oder was, na ja… Den müsstest du jedenfalls melden, ist ja klar.«
»Ich hab doch gesagt, dass die Brosche von einer Meerjungfrau ist.«
»Schon gut. Ich komm ja auch nur auf den Schatz, weil der jetzt für uns nützlich wäre. Wir schauen in die Zukunft. Das solltest du auch tun. Vergiss die Schrecken des Krieges! Raff dich auf. Tja, ich muss dann wieder los. Morgen schau ich wieder vorbei. Vielleicht kommt Susi dann mit. Denk drüber nach, was du machen willst. Die Fischer würden dich gern aufnehmen. Ansonsten, ist ja klar, kannst du nicht allzu lange hier bleiben. Also dann…«
Anton sah ihm nach, wie er die Uferböschung hochkletterte. Wieso wollte er ihm die
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