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Der Schatz des Störtebeker

Der Schatz des Störtebeker

Titel: Der Schatz des Störtebeker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Gutberiet
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umgebunden, kurz bevor sie in den Keller gegangen war, die weiße Schürze mit den gestickten Blumen. Auf der Schürze lag die Brosche, die er ihr einmal geschenkt hatte. Sie war nicht vollständig, nur Teil eines größeren Ganzen, und stellte den Bug eines Schiffes dar, einer Hansekogge, mit einem großen Anker an der Bordwand. Er nahm die Brosche und steckte sie in die Tasche.
    Nachdem sie die Toten begraben hatten, rief er dem Mann, der ihm geholfen hatte, einen kurzen Abschiedsgruß zu und verließ die Stadt. Nur noch ein letztes Ziel war ihm geblieben, dorthin lenkte er jetzt seine Schritte. Er ließ sich von einem Fischer im Ruderboot auf die Insel bringen. Nun war es zwar immer noch ein weiter Weg, aber er führte über vertrautes Gelände, und die Bäume am Wegesrand hielten ihre breiten Äste mit den sich langsam verfärbenden Blättern schützend über ihn. War hier alles so geblieben wie vor dem Krieg? Nur gelegentlich konnte er Zeichen der Zerstörung entdecken. Er war misstrauisch. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn eine Bomberstaffel auf ihn heruntergestoßen wäre, um ihr Zerstörungswerk fortzusetzen.
    Das Wasser der Binnengewässer glänzte silbrig, und die ersten auf Winterurlaub gekommenen Kraniche waren zu sehen. Auch einen Fischadler konnte er beim Jagen beobachten. Und die Möwen schrien so wie immer. Die Vögel hatten den Krieg überlebt.
    Er erreichte den Nordosten der Insel gegen Abend und die Hütte am Strand, als die Dämmerung begann. Er brach das Schloss auf und trat ein. Er zog den mottenzerfressenen Vorhang beiseite, um das letzte Licht des Tages hereinzulassen. Alles in der Hütte war so, wie er es erwartet hatte: Der rohe Tisch, die beiden Stühle, der kleine Kanonenofen und der verzogene Schrank, die Kisten und Holzbottiche, die Angeln und Netze. Auch das rostige Feldbett stand zusammengeklappt an der Wand. Er setzte sich an den Tisch und blickte nach draußen aufs Meer. Eine sanfte Dünung trieb regelmäßige kleine Wellen ans steinige Ufer, die Kieselsteine rollten hin und her.
    Bevor die Sonne ganz untergegangen war, suchte er die Petroleumlampe und füllte den letzten Rest Benzin aus dem Kanister ein. Dann ging er nach draußen hinter das Haus und sah sich das Boot an. Es lag kieloben auf der Düne und schien unbeschädigt zu sein. Daneben stand die Regentonne. Er probierte. Das Wasser schien genießbar zu sein. Er trat wieder ins Haus und baute das Bett auf. Im Schrank fand er eine Wolldecke. Mit ihr und seinem Soldatenmantel würde er sich diese Nacht einigermaßen warm halten können.
    Bevor er das Licht löschte, nahm er noch einmal die Brosche in die Hand. Er spürte keine Trauer. Die Brosche hatte nichts mit der Leiche zu tun, die er begraben hatte, die Leiche nichts mit einer Frau, die einmal seine Frau gewesen war, das Haus, das nicht mehr existierte, nichts mit ihm, und seine Erinnerungen waren die eines anderen, der irgendwo im Schlamm vor Stalingrad verloren gegangen war. Er legte die Brosche auf den Tisch, löschte das Licht und legte sich schlafen.
    In der Nacht kam eine Meerjungfrau zu ihm. Sie setzte sich auf den Stuhl und sang ihm mit leiser Stimme ein Lied vor. Sie legte die Brosche in seine Hand, schloss seine Finger darüber und lächelte ihn an. Als die Granaten auf die Hütte niederhagelten und explodierten, sprang sie auf, lief zum Wasser und tauchte unter.
    Am Morgen zog er zunächst das Boot ins Wasser, um es auf eventuelle Lecks zu überprüfen. Es war dicht. Also machte er sich daran, die Netze auf der Düne auszubreiten und auszubessern. Er wusste, dass er eigentlich losgehen sollte, um etwas zu essen und zu trinken zu besorgen. Aber er spürte einen extremen Widerwillen dagegen, ins Dorf zu gehen.
    Gegen Mittag fiel ein Schatten auf sein Netz. Die Umrisse eines Mannes. Er tat so, als würde er nichts bemerken, und arbeitete konzentriert weiter in der Hoffnung, der Schatten würde nach einer Weile einfach wieder verschwinden. Es funktionierte nicht. Der Schatten fing an zu sprechen.
    »Guten Tag, Anton.«
    Er sah nicht auf. Er war gerade an eine besonders knifflige Stelle geraten, musste sich konzentrieren.
    »Anton, du kennst mich doch noch?«
    Der Schatten bewegte sich. Ein Paar Stiefel trat in seinen Gesichtskreis. Sie blieben am Rand des ausgebreiteten Netzes stehen.
    »Anton!«
    Der Mann mit den Stiefeln ging in die Hocke und wartete.
    Anton brachte seine Arbeit zu Ende, dann setzte er sich in den Sand, blickte zunächst eine Weile vor sich hin,

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