Der Schatz im Silbersee
belustigten Ausdruck annahm. »Die Tante ist ein braves, tapferes und kluges Bleichgesicht. Winnetou wird zu ihr gehen.«
»Schön! Mein roter Bruder wird noch andre tüchtige Männer finden, den schwarzen Tom, den Humply-Bill, den Gunstick-Uncle, lauter Männer, deren Namen er wenigstens gehört hat.
Einstweilen aber mag er mit in meine Stube gehen und da warten, bis wir zurückkehren.«
Old Firehand hatte noch vor der Ankunft des Apachen von dem Ingenieur ein Stübchen angewiesen bekommen; dorthin begab er sich jetzt mit Winnetou, um den auffälligen Jagdanzug mit dem andern zu vertauschen, in welchem er von den Bahnarbeitern für einen neu angeworbenen Kameraden gehalten werden konnte; denn diese Leute durften heute noch nicht wissen, daß etwas so Ungewöhnliches im Anzuge sei.
Bald stand die Draisine bereit. Old Firehand bestieg mit dem Ingenieur den Vordersitz, und zwei Arbeiter standen über den Laufrädern, um die Handstangen in Bewegung zu setzen. Das Vehikel rollte durch den Ort, in welchem jetzt überall fleißige Hände beschäftigt waren, und dann hinaus auf die freie Bahnstrecke, welche schon bis Kit Karson mit Schienen belegt war.
Der Apache machte es sich indessen bequem; er war die ganze Nacht hindurch geritten und ließ jetzt die Gelegenheit, eine kurze Zeit zu schlafen, nicht unbenutzt vorübergehen. Als die beiden zurückkehrten, wurde er geweckt. Er erfuhr, daß Old Firehand einen höchst geeigneten Ort gefunden hatte, und als ihm derselbe beschrieben worden war, nickte er befriedigt und sagte: »Das ist gut. Die Hunde werden zittern vor Angst und heulen vor Schreck. Es wird eine Erlösung für sie sein, in unsre Hände zu geraten. Winnetou reitet jetzt zu der Tante Droll, um ihr und den Rafters zu sagen, daß sie sich bereithalten mögen.«
Er schlich sich, um nicht bemerkt zu werden, möglichst heimlich vom Hause fort und nach dem Verstecke, in welchem sich seine Pferde befanden. Der scharfsinnige Häuptling hatte sich auch in Beziehung auf die Ankunft der Kundschafter nicht getäuscht. Kaum war die auf den Mittag fallende Arbeitspause vorüber, so sah man zwei Reiter langsam vom Flusse her geritten kommen. Nach der Beschreibung, welche der Yankee von ihnen geliefert hatte, war nicht zu zweifeln, daß sie die Erwarteten seien. Old Firehand begab sich schnell zu Hartley, welcher schlief, aber gern aufstand um zu sehen ob es nicht etwa andre Männer seien. Nachdem er sie mit voller Bestimmtheit als die Betreffenden rekognosziert hatte, ging Old Firehand in die neben dem Bureau liegende Stube, um durch die nur angelehnte Thür Zeuge der Unterredung zu sein. Er hatte während der Draisinenfahrt den Ingenieur vollständig für seinen Plan gewonnen und ihm denselben so genau erklärt, daß ein Fehler des Bahnbeamten fast unmöglich war.
Dieser letztere befand sich in seinem Zimmer, als die beiden Männer eintraten. Sie grüßten höflich, und dann überreichte der eine, ohne zunächst über den Zweck seiner Anwesenheit etwas zu sagen, den Empfehlungsbrief. Der Ingenieur las denselben und sagte dann in freundlichem Tone: »Ihr waret bei meinem Freunde Norton angestellt? Wie geht es ihm?«
Es folgten nun die unter solchen Umständen gewöhnlichen Fragen und Antworten, und dann erkundigte sich der Ingenieur nach dem Grunde, welcher den Schreiber aus Kinsley fortgetrieben hatte. Der Gefragte erzählte eine wehmütige Geschichte, welche zwar mit dem Inhalte des Briefes harmonierte, die er sich aber selbst ausgesonnen hatte. Der Beamte hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann: »Das ist so traurig, daß es allerdings mein Mitgefühl erregt, zumal ich aus diesen Zeilen ersehe, daß Ihr das Wohlwollen und Vertrauen Nortons besessen habt. Darum soll seine Bitte um eine Anstellung für Euch nicht vergebens sein. Ich habe zwar schon einen Schreiber, bedarf aber schon seit langem eines Mannes, dem ich auch vertrauliche und sonst wichtige Sachen in die Feder geben darf. Meint Ihr, daß ich es da mit Euch versuchen darf?«
»Sir,« antwortete der angebliche Haller erfreut, »versucht es mit mir. Ich bin überzeugt, daß Ihr mit mir zufrieden sein werdet.«
»Well, versuchen wir es. Über den Gehalt wollen wir jetzt noch nicht sprechen, ich muß Euch erst kennen lernen und das wird in einigen Tagen geschehen sein. Je anstelliger Ihr seid, desto besser werdet Ihr bezahlt. Jetzt bin ich sehr beschäftigt. Seht Euch einstweilen im Orte um, und kommt um fünf Uhr wieder.
Bis dahin werde ich einige Arbeiten
Weitere Kostenlose Bücher