Der Schatz im Silbersee
Entzückens ausbrechen werde, so war er mit den
Gewohnheiten der Indianer nicht vertraut. Kein roter Krieger wird seiner Freude oder seinem Schmerze in Gegenwart andrer einen auffälligen Ausdruck verleihen. Zwar glänzten die Augen des Apachen, sonst aber blieb er ruhig; er trat auf den Jäger zu und streckte ihm die Hand entgegen. Dieser zog ihn an seine breite Brust, küßte ihn auf beide Wangen und sagte im Tone freudiger Rührung: »Mein Freund, mein lieber, lieber Bruder!
Wie überrascht und entzückt war ich, als ich dich kommen und vom Pferde steigen sah! Wie lange haben wir uns nicht gesehen!«
»Ich sah dich heut beim Tagesgrauen,« antwortete der Indianer, »als du im Nebelmeere jenseit des Flusses an uns vorüberjagtest.«
»Und hast mich nicht angerufen!«
»Der Nebel umhüllte dich, so daß ich dich nicht genau erkennen konnte, und wie der Sturm der Ebene warst du vorüber.«
»Ich mußte schnell reiten, um eher anzukommen, als die Tramps. Auch mußte ich diesen Ritt selbst unternehmen, weil die Sache so wichtig ist, daß ich sie keinem andern anvertrauen mochte. Es sind über zweihundert Tramps im Anzuge.«
»Dann habe ich mich nicht getäuscht. Die Mörder sind die Kundschafter, welche ihnen vorangehen.«
»Darf ich erfahren, welche Bewandtnis es mit diesen Leuten hat?«
»Der Häuptling der Apachen ist nicht ein Mann der Zunge, sondern der That. Hier aber steht ein Bleichgesicht, welches euch alles genau erzählen wird.«
Er deutete auf Hartley, welcher sich beim Eintritte Old Firehands vom Stuhle erhoben hatte und den gewaltigen Mann noch jetzt mit Staunen betrachtete. Ja, das waren Recken, dieser Old Firehand und dieser Winnetou! Der Yankee kam sich so klein und armselig vor, und den Ingenieur mochte ein ähnliches Gefühl beschleichen; wenigstens ließ sein Gesicht und seine achtungsvolle Haltung dies vermuten.
Hartley erzählte, als alle sich wieder gesetzt hatten, seine gestrigen Erlebnisse. Als er zu Ende war, berichtete Old Firehand, wenn auch möglichst kurz, sein Zusammentreffen mit dem roten Cornel auf dem Steamer, bei den Rafters und zuletzt auf Butlers Farm. Dann ließ er sich den Anführer der drei beschreiben, denjenigen, welcher den Schreiber
niedergeschossen und sich dann von den beiden andern getrennt hatte. Als es dem Yankee gelungen war, ein möglichst genaues Bild dieser Person zu liefern, sagte der Jäger: »Ich wette, das es der Cornel war. Er hat sich die Haare dunkel gefärbt. Hoffentlich läuft er mir endlich in die Hände!«
»Dann sollen ihm solche Streiche wohl vergehen!« zürnte her Ingenieur. »Über zweihundert Tramps! Welch ein Morden, Sengen und Brennen wäre das gewesen! Mesch'schurs, ihr seid unsre Retter, und ich weiß nicht, wie ich euch danken soll!
Dieser Cornel muß es auf irgend eine Weise erfahren haben, daß ich die Gelder für eine lange Strecke beziehe und sie dann unter meine Kollegen zur Auszahlung zu verteilen habe. Nun ich gewarnt bin, mag er mit seinen Tramps kommen; wir werden gerüstet sein.«
»Dünkt Euch nicht allzu sicher.« warnte Old Firehand.
»Zweihundert desperate Kerle haben immer etwas zu bedeuten!«
»Mag sein; aber ich kann in einigen Stunden tausend Bahnarbeiter beisammen haben.«
»Die gut bewaffnet sind?«
»Jeder hat irgend eine Schießwaffe. Schließlich thun es die Messer, die Spaten und Schaufeln auch.«
»Spaten und Schaufeln gegen zweihundert Flinten? Das würde ein Blutvergießen ergeben, welches ich nicht zu verantworten haben möchte.«
»Nun so bekomme ich von Fort Wallace recht gern bis an die hundert Soldaten geschickt.«
»Euer Mut ist lobenswert, Sir; aber List ist da stets besser als Gewalt. Wenn ich den Feind durch List unschädlich machen kann, warum soll ich da so viele Menschenleben opfern?«
»Welche List meint Ihr, Sir? Ich will ja gern thun, was Ihr mir ratet. Ihr seid ein ganz andrer Kerl, als ich bin, und wenn Ihr zufrieden seid, so bin ich sofort bereit, Euch das Kommando über diesen Platz und meine Leute abzutreten.«
»Nicht so schnell, Sir! Wir müssen überlegen. Zunächst dürfen die Tramps nicht ahnen, daß Ihr gewarnt seid. Sie dürfen also nicht wissen, daß wir uns hier befinden. Auch unsre Pferde dürfen sie nicht sehen. Gibt es kein Versteck für die Tiere?«
»Die kann ich gleich verschwinden lassen, Sir.«
»Aber so, daß wir sie leicht zur Hand haben?«
»Ja, glücklicherweise seid Ihr so zeitig am Tage gekommen, daß Ihr von den Arbeitern nicht gesehen wurdet. Von
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