Der Schatz von Blackhope Hall
besten gebe ich ihn als meinen Diener aus, der mir mit dem Gepäck hilft und so weiter." Diese Idee gefiel dem Assistenten weniger, was seine Miene deutlich bekundete, und Olivia erklärte ihm: "Auf diese Weise können Sie das Hauspersonal aushorchen und Klatschgeschichten belauschen. Vor Gleichgestellten sprechen die Dienstboten viel freimütiger als vor anderen Leuten. Und sie werden sich nicht wundern, wenn Sie ein Gästezimmer betreten."
Da leuchteten Toms Augen auf. "Klar, das stimmt. Vielleicht nimmt diese Madame irgendwelche Diener mit, und ich bringe sie zum Reden."
"Ja, das wäre großartig!" Mit wachsender Begeisterung blickte Olivia der Reise entgegen. Noch nie hatte sie eine so günstige Gelegenheit erhalten, die Praktiken eines Mediums zu ergründen. Dafür durfte sie sich Zeit nehmen, und sie besaß die Erlaubnis des Gastgebers. Lächelnd wandte sie sich ihm zu. "Lord St. Leger, ich weiß die Chance, die Sie mir bieten, wirklich zu schätzen."
"Stephen."
"Wie bitte?"
"So heiße ich. Da ich Sie gut genug kenne, um Sie zu einer Hausparty einzuladen, sollten Sie mich mit meinem Vornamen anreden."
"Oh …" In Olivias Wangen stieg brennende Röte, und ihre Verwirrung, die der harmlose Vorschlag bewirkte, war ihr furchtbar peinlich. "Stephen. Natürlich. Ich heiße Olivia."
"Also sind wir uns einig, Olivia." Höflich verneigte er sich, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. "Vielen Dank. Ich freue mich auf Ihre Ankunft in Blackhope, und meine Mutter wird Ihnen noch heute eine Einladung schicken."
Entschlossen kämpfte sie gegen die Gefühle, die der Handkuss hervorgerufen hatte, an. Der Mann brauchte ihre Hilfe, das war alles. "Und wie wollen Sie mich der Lady vorstellen?"
"Als eine Freundin. Nur zu gern wird meine Mutter die Tochter eines Duke auf unserem Landsitz begrüßen und keine Fragen stellen."
Daran zweifelte sie. Nach ihrer Erfahrung wollten sich die Mütter heiratsfähiger Söhne sogar sehr gründlich über deren "Freundinnen" informieren.
Wie erwartet, wurde sie von ihrer eigenen Familie mit zahllosen Fragen bestürmt, sobald sie ihre Reiseabsichten bekannt gegeben hatte. Der Einfachheit halber hatte sie die Zusammenkunft an der Dinnertafel gewählt, um die Neuigkeit allen auf einmal zu erzählen.
Verständlicherweise kniff ihre Mutter skeptisch die scharfen grünen Augen zusammen. "St. Leger? Wer ist das? Wie denkt er über das Wahlrecht von Frauen?"
"Keine Ahnung, Mutter. Danach habe ich mich nicht erkundigt."
"Gibt es etwas Wichtigeres, das man über einen Mann wissen müsste?" Hoch gewachsen, mit feuerrotem, von vereinzelten grauen Strähnen durchzogenem Haar, war die Duchess eine imposante Erscheinung, die Olivia immer wieder einschüchterte.
"Nach meiner Ansicht sollte man sich eher um seine Finanzen kümmern", meinte Kyria leichthin.
"Also wirklich, Kyria!" Die Duchess warf ihrer rothaarigen Tochter, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, einen vernichtenden Blick zu. "Wenn du in der Öffentlichkeit so redest, wird man dich für frivol halten."
"Ja, Mama, das fürchte ich auch."
"Nun, wer ist dieser Bursche?" mischte sich der Duke mit milder Stimme ein. "Lord St. Leger? Kenne ich ihn?"
"Vor ein paar Monaten kam er aus den Vereinigten Staaten zurück, nachdem er den Titel von seinem älteren Bruder geerbt hatte", berichtete Reed. "Roderick St. Leger starb bei einem Jagdunfall."
Gleichmütig zuckte der Duke die Schultern. "Dem bin ich nie begegnet."
"Ich kannte ihn flüchtig, weil er in meinem Club verkehrte", fuhr Reed fort. "Soweit ich feststellen konnte, ein ganz normaler Mensch. Den derzeitigen Earl habe ich noch nicht getroffen. Wieso kennst du ihn, Liv? Soviel ich weiß, hielt er sich seit seiner Rückkehr nach England auf seinem Landsitz auf."
"Jetzt ist er in London", erwiderte Olivia. "Vor ein paar Tagen wurde er mir bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung vorgestellt."
"Was?" fragte Desmond, Thisbes Ehemann, erstaunt. "Du warst auf einer Par…? Autsch!" unterbrach er sich. Gekränkt starrte er seine Frau an und griff verstohlen unter den Tisch, um sein Schienbein zu reiben.
"Olivia hat Kyria und mir neulich von diesem Gentleman erzählt", bemerkte Thisbe beiläufig. "Da erwähnte sie auch die … äh … Party, auf der sie ihm begegnet war."
"Heißt das – du kennst den Mann kaum, Liv?" erkundigte sich Reed, die Stirn gerunzelt.
"Spiel nicht den großen Bruder", ermahnte ihn Kyria und musterte ihn liebevoll. "Als wüsste Livvy
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