Der Schatz von Dongo
nicht.
»Seien Sie mal ganz ehrlich. Glauben Sie nicht doch, daß Sie nach Rache
trachten? Daß das der wahre Grund für Ihren Wunsch ist?«
»Mag sein. Ja … Warum auch nicht? Und wenn sich
herausstellen sollte, daß es tatsächlich so ist, warum sollten die
Mörder nicht bestraft werden, wie sie es verdient haben? Ich streite
nicht ab, daß ich diejenigen hasse, die ihn getötet haben –
wer immer sie sein mögen. Aber ich will wissen, wer es war.«
»Das will ich auch«, gab ich zu.
Der Pfad hatte uns zur Villa zurückgeführt. »Ich glaube, jetzt
wird es Zeit für einen Negroni.« Ich hielt ihr die Tür offen.
»Signorina Angelo …«
»Warum Angelo?«
»Weil ich dachte, es wäre vielleicht … So, wie die
Dinge nun einmal liegen … Ich hielt es für besser, wenn man in
Dongo nicht erfährt, daß Arnoldo Disios Tochter hier ist.«
»Ich glaube, da haben Sie recht. Und vielleicht sollten Sie,
vorläufig wenigstens, auch hier im Haus Signorina Angelo bleiben.«
»Und als was bin ich hier?«
»Als eine Freundin aus Rom.«
»Haben wir uns dort kennengelernt?«
»Ja. Rosanna wird Ihr Gepäck heraufholen. Gegenüber von meinem
Zimmer gibt es ein Gästezimmer.«
»Vielleicht sollte ich doch lieber ein Zimmer im Ort nehmen.«
»In Dongo? Wo denn? Sie kennen Dongo nicht.
Außerdem – was für eine Freundin aus Rom wären Sie denn, wenn
Sie nicht mir gegenüber wohnten?«
Ein anderer Vorzug Giorgios, den ich noch
nicht erwähnt habe, waren seine guten Verbindungen. Vom Standpunkt der
mit Beziehungen Gesegneten, das heißt derjenigen, die immer die
richtigen Türen öffnen, die richtigen Ohren finden, die richtigen Hände
schmieren können, mochten sie nicht erwähnenswert sein, doch auch wenn
Giorgio sein Ziel aus schiefem Winkel anvisierte, traf er dabei stets
ins Schwarze. Das wahrhaft knifflige Problem bestand in unserem Fall
darin, die undurchdringliche Schweigemauer der Schweizer Banken im
Hinblick auf die Besitzer eines ihrer Nummernkontos zu durchbrechen.
Und naturgemäß bestand Giorgios Verbindung dabei nicht in der
Bekanntschaft mit einem Bankdirektor, dem Bürgermeister von Lugano oder
dem Vorsitzenden eines Schweizer Bankenkonsortiums, sondern in dem
glücklichen Zufall, daß der Barkeeper der Bar l'Orange in Lugano zwei
Jahre lang mit ihm die Zelle geteilt hatte und ihm einen Riesengefallen
schuldete, weil Giorgio gewisse Dinge ›arrangiert‹ hatte, die diesem
Barkeeper ein Jahr eher als vorgesehen zur Freiheit verhalfen.
Der Zusammenhang zwischen dem Barkeeper und den bestgehüteten
Geheimnissen der Bank gründete sich, wie Giorgio mir auseinandersetzte,
auf die Tatsache, daß Barkeeper gewöhnlich Informationszentren erster
Güte sind und daß er, Giorgio, stets nach der Theorie handelte, ein
jeder Mensch – und das hieß bei ihm ein jeder –
habe die gleichen Schwächen. Bankpräsidenten vögelten, um Giorgios
stark vereinfachte Erklärung wiederzugeben, wie alle Menschen und mit
dem gleichen Resultat, das manchmal weder erwartet noch erwünscht sein
mochte. Und die Beseitigung unerwünschter Resultate – und zwar
unter den schwierigsten Umständen, da die geringste ungünstige
Publicity geradezu verheerende Folgen haben konnte – mußte mit
einem entsprechend hohen Preis honoriert werden. Im Zuge dieser
Transaktionen konnte man dann, falls nötig, als eine Art
Nachzahlung – Giorgio verabscheute das Wort
›Erpressung‹ – eine so kleine Auskunft wie die, auf wessen
Namen ein bestimmtes Nummernkonto lief, verlangen. Daher kam uns eine
gewisse Information sehr gelegen: die Information nämlich, daß der
Präsident der Banka Nationale sowie sein Sohn dieselben bedauerlichen
Resultate bei derselben bedauerlichen Dame erzielt hatten.
»Willst du damit sagen, dein Barkeeper-Freund betreibt einen
Abtreibungs-Service?«
»Genau.«
»Und sowohl der Bankpräsident als auch sein Sohn haben sich
unabhängig voneinander mit derselben Dame eingelassen – beide
mit dem Resultat einer Schwangerschaft?«
» Ecco .«
»Na, Banken scheinen sich ja einer ziemlichen Beliebtheit zu
erfreuen! Weißt du, damals, als ich die Universität besuchte, gab es in
einem nahe gelegenen Lokal auch einen Barkeeper, der diesen Service
betrieb. Er wurde von den Studenten stark frequentiert, bis mehrere
meiner Freunde entdeckten, daß sie alle dasselbe Mädchen geschwängert
hatten. Die Abtreibungen waren alle von diesem Barkeeper arrangiert
worden. Als sie darüber hinaus feststellten, daß vier
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