Der Schatz von Dongo
Kommen Sie heute abend um zehn in die Kirche von
Dongo. Beichten Sie im Beichtstuhl für Französisch. Identifizieren Sie
sich mit den Worten 'E Pluribus Unum'. Vergewissern Sie sich, daß man
Ihnen nicht folgt.‹ Der Laufbursche sagte, er wisse nicht, wer ihm den
Umschlag gegeben habe. Er berichtete, er habe ihn nachmittags, als er
zur Chorprobe in die Kirche gegangen sei, in seinem Fach auf dem
Chorhemd gefunden. Daran befestigt sei ein Hundertlireschein gewesen,
sowie ein Zettel: ›Bitte, bei Paul Selwyn, Villa di Cielo, abgeben.‹
Als ich nun dastand, den Brief in der Hand, der so sehr dem
Brief von damals ähnelte, und dem davonradelnden Jungen nachsah, hatte
ich das unheimliche Gefühl, Arnoldo käme die Treppe herunter.
Ich blickte auf, aber es war nur Ted. »Ich will nicht lange um
den heißen Brei herumreden, Paulski. Also, seien wir doch mal ganz
offen: Bis und ich, wir machen uns ein bißchen Sorgen wegen der jungen
Dame, die du hierhergebracht hast. Sie ist zwar ganz reizend und sehr
schön, aber schließlich, mein Lieber, müssen wir doch auf Nummer Sicher
gehen, n'est-ce pas ? Ich meine, hast du
Erkundigungen über sie eingezogen? Herkunft und so? Sie könnte uns
Nullkommanichts das Handwerk legen, ist dir das klar?«
»Schon gut, Ted. Es ist Julietta Disio.«
»Wie bitte? Nicht Angelo? Aber warum dann Angelo?«
»Weil sie es so wollte.«
»Wovor hat sie denn Angst? Ich meine, traut sie denn nicht mal
ihren Archäologen-Kollegen?«
»Jetzt schon. Aber selbst anfangs war ihr diese Maskerade
nicht recht.«
»Wirst du ihr sagen, daß wir Bescheid wissen?«
»Natürlich. Immerhin solltet ihr lieber bei Angelo bleiben.
Sie möchte nicht, daß im Ort bekannt wird, wer sie ist. Sie weiß nicht
recht, wie gewisse Leute auf den Namen Disio reagieren werden.«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, daß Arnoldos Mörder irgendwo aus dieser Gegend
stammen kann, daß er sogar vermutlich aus dieser
Gegend stammt. Du kannst dir vorstellen, wie sich die plötzliche
Ankunft von Arnoldo Disios Tochter auswirken mag, nicht wahr?«
»Da hast du wohl recht.«
Ich wollte ihm noch den Brief zeigen, aber die Haushälterin
meldete Pater Piccionastro, der kam, um uns ein paar neue Vorschläge
für unsere Ausgrabungen zu machen.
Sirenengeheul in einer Großstadt geht meist
im Verkehrslärm unter, in Zonico aber, wo derartige Vorkommnisse eine
Seltenheit sind, klang es so wehklagend, als verkünde es geschehenes
Unheil. Unsere Haushälterin telefonierte sofort mit ihrem Verehrer, dem
Barkeeper des Dongo-Cafés. Er sagte, es habe einen schweren Unfall
gegeben, deswegen sei der Krankenwagen gerufen worden. Ich warf einen
Blick auf die Uhr in der Diele: es war sieben Uhr abends.
Als wir am Schauplatz des Unfalls eintrafen, fanden wir dort
praktisch ganz Dongo und Zonico vor. Der Krankenwagen, seit zwei
Monaten zum erstenmal in Aktion, stand an der Einmündung einer der
vielen kleinen Gassen, die an der Piazza Dongo zusammenlaufen. Die
Neuigkeit ging wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund: ein Priester liege
tot auf der Straße, vermutlich von einem Auto überfahren. Doch wie es
passiert war, hatte niemand gesehen. Immer wieder hörte man es: »Ein
Priester tot …«, »Ein Priester ist umgekommen …«,
»Ein Priester …«, »Ein Priester …« Dann kam ein Auto,
das den Arzt brachte, und die Menge machte ihm respektvoll Platz. Ich
folgte in seinem Kielwasser. Er war schon alt, und das Gewicht der
Arzttasche zog sichtlich schwer an seinem Arm.
Der tote Priester lag ungefähr zwanzig Meter weit in der
kleinen Gasse. Er war im Scheinwerferlicht des Krankenwagens deutlich
zu sehen. Sein Hut und eine seiner Sandalen lagen ein Stückchen
entfernt im Rinnstein. Es war ein recht dicker Priester, glatzköpfig
und vollbärtig. Ich drehte mich zu Julietta um, die einige Schritte von
mir entfernt stehengeblieben war. An ihrem Gesichtsausdruck sah ich,
daß dies der Priester war, den sie in der Kirche von Dongo gesehen
hatte.
Paulo Benfatto hatte sich gewichtig vor seinem Krankenwagen
aufgepflanzt und sah zu, wie der Arzt den Toten untersuchte.
»Wie ist es passiert, Paulo?«
»Das weiß kein Mensch. Niemand hat etwas gehört oder gesehen.«
»Kennen Sie ihn?«
»Ja. Es ist Pater Laekla. Das heißt, es war Pater Laekla, als er noch hier an der Kirche von Dongo war. Aber dann
ging er weg, und als er wiederkam, trat er bei Santo Zacharia ein.
Deswegen ist er jetzt Frater Laekla. Er gehörte, wie Pater
Piccionastro, zur
Weitere Kostenlose Bücher