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Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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den Ermittlungen, sondern auch mit Boysens Laufbahn bei der Hamburger Polizei zu Ende. Darüber machte er sich keine Illusionen.
    Der Offiziant hatte nachgedacht. Er wusste, wo er Hilfe holen konnte – auch wenn er sich dadurch selbst mit mindestens einem Bein ins Gefängnis stellte. Boysen fuhr mit der Pferde-Straßenbahn von Blankenese nach St. Pauli.
    In dem Vergnügungsviertel, das den Seeleuten auf der ganzen Welt bekannt war, herrschte in dieser Nacht nicht eine so ausgelassene Stimmung wie sonst. Die Auswirkungen der Cholera-Epidemie machten sich auch hier bemerkbar. Es roch nicht mehr nach schalem Bier und dem billigen Parfüm der Straßenmädchen, sondern nach dem scharfen Chlorkalk der Desinfektionskommandos. Und der Anblick von Leichenwagen trug auch nicht gerade dazu bei, die Wogen der Ausgelassenheit höher schlagen zu lassen. Trotzdem konnte man das Hämmern der mechanischen Klaviere durch die offenstehenden Türen der Tanzhallen hören. Die Menschen versuchten verzweifelt, sich trotz der grassierenden Seuche zu amüsieren.
    Boysen bog von der Reeperbahn in die Große Freiheit ab. Die Schmuckstraße war nur eine kurze Verbindungsstraße zwischen der Großen Freiheit und der Talstraße, doch der Polizist trat hier in eine andere Welt.
    Knoblauch, Opium und abgebrannte Räucherstäbchen bildeten eine fremdartige Geruchsmischung, die zu den chinesischen Schriftzeichen an den Restaurants, Läden und Wäschereien passte. Boysen musste nicht lange suchen. Er stieg die drei Treppenstufen ins Souterrain hinab und klopfte an der Tür einer Opiumhöhle.
    Es dauerte nicht lange, bis sich ein kleines Fenster in der massiven Tür öffnete. Blauer Rauch drang nach draußen, Boysen konnte im Halbdunkel ein mandeläugiges Frauengesicht erkennen.
    »Rauchen?«, fragte eine weibliche Stimme mit starkem Akzent.
    Der Polizist schüttelte den Kopf. »Ich muss dringend mit Kwan Lok sprechen.«
    Die Dienerin öffnete die Tür. Boysen trat ein und warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Die Deern war vielleicht 14 Jahre alt, vielleicht auch schon 18. Bei Chinesinnen konnte er das schlecht einschätzen. Auf jeden Fall war ihr Körper in dem bodenlangen bestickten Seidenkleid sehr mager. Unter dem Saum des Kleidungsstücks konnte man ihre winzigen, verkrüppelten Füße in den hölzernen Stelzschuhen sehen. Das schmerzhafte Abbinden von Frauenfüßen gehörte zu den vielen seltsamen Gebräuchen der Chinesen, wie Boysen schon aus seiner Zeit beim Ostasiengeschwader wusste.
    Die Chinesin verbeugte sich tief und bat den Uniformierten mit einer Geste, ihr zu folgen. Hinter einem Vorhang befand sich die eigentliche Opiumhöhle, die von der jungen Frau und dem Offizianten durchquert wurde. Dunkle Lackmöbel und Rollbilder gaben dem Raum ein fernöstliches Gepräge. Ungefähr ein Dutzend fleckige, mit rotem Stoff bezogene Pritschen standen herum. Darauf lagen die Raucher, Europäer und Chinesen, Frauen und Männer. Jeder von ihnen hatte eine lange Opiumpfeife in den Händen. In dem Raum herrschte Totenstille. Boysen wusste, dass es unter den Opiumsüchtigen verpönt war, zu reden oder andere Geräusche zu machen. Jeder wollte sich ungestört seinen Rauschmittelträumen hingeben.
    Nur wenige Petroleumlampen spendeten Licht in dem blaugequalmten länglichen Raum. Fenster gab es nicht, nur ein paar Lüftungsschächte. Die Chinesin schlüpfte durch eine Seitentür, vor der Boysen zunächst warten musste. Er hörte, wie sie mit unterwürfigem Tonfall ein paar Sätze in ihrer Muttersprache von sich gab. Dann erschien sie an der Türöffnung, ein unverbindliches Lächeln auf den schmalen, rot bemalten Lippen.
    »Der ehrwürdige Polizist möge eintreten.«
    Boysen nahm seinen Helm ab, als er sich in den kleinen Raum begab. Dort hockte Kwan Lok auf einem geschnitzten Lehnstuhl, der mit seiner aufwändigen Goldbemalung an einen Thron erinnerte. Der alte Chinese war gekleidet wie ein Mandarin in seiner fernöstlichen Heimat. Kwan Lok trug über seinem Untergewand zwei seidene Oberkleider mit aufgesetztem Brokatstück, eine Halskette mit kostbaren Jadearbeiten sowie eine Samtmütze. Sein Haar war zu einem langen Zopf geflochten, die Spitzen seines dürren Schnurrbarts hingen bis weit auf die Brust herunter.
    Kwan Lok gehörte nicht nur diese Opiumhöhle, er war auch der Drachenkopf von Hamburg, der mächtigste Mann des chinesischen Geheimbundes auf St. Pauli. Wie ein Marionettenspieler zog er die Fäden im Hintergrund.
    Der Chinese ließ ein breites

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