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Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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Grinsen sehen und deutete auf den freien Stuhl ihm gegenüber. Kwan Lok saß an einem Tisch, ein Go-Brett vor sich aufgebaut.
    »Welch eine Freude, den ehrwürdigen Offiziant Boysen in meinem bescheidenen Gemach begrüßen zu dürfen! Was kann dein nichtswürdiger Diener für dich tun?«
    Der Udel ließ sich durch die Höflichkeitsfloskeln nicht täuschen. Er hatte lange genug in Fernost gelebt, um die Mentalität der Chinesen zu kennen. In Wahrheit war Kwan Lok ein mächtiger Mann, der Boysen jederzeit in den Staub treten konnte. Wenn der Drachenkopf es wünschte, würde der Offiziant in tausende Stücke gehackt und in die Elbe geworfen. Kwan Lok würde Boysen nur helfen, wenn für ihn selbst ein Vorteil dabei heraussprang.
    Einstweilen setzte sich der Offiziant, nachdem er sich fast bis zum Boden verbeugt hatte. Er wusste, wie viel Wert die Chinesen auf derartige Konventionen legten.
    »Würde der Offiziant dem nichtswürdigen Kwan Lok die Freude einer Partie Go machen?«
    Boysen nickte. Wer mit Chinesen verhandelte, musste Zeit mitbringen. Es wäre eine grobe Unhöflichkeit, gleich zur Sache zu kommen. Natürlich hatte der Offiziant während seiner Zeit beim Ostasiengeschwader schon einige Partien dieses traditionellen Brettspiels hinter sich gebracht. Er war kein besonders guter Go-Spieler; vermutlich musste er Kwan Lok nicht einmal absichtlich gewinnen lassen, um die Partie zu verlieren. Für Kwan Lok war das ganze Leben ein einziges Go-Spiel, das hatte Boysen im Laufe ihrer Bekanntschaft erkannt.
    Das Mädchen mit den verkrüppelten Füßen brachte unaufgefordert heißen Jasmintee für die beiden Spieler. Boysen bekam die weißen Steine, der Gastgeber die schwarzen. Die Partie begann.
    Boysen hatte einmal gehört, dass die Variationsmöglichkeiten beim Go unendlich viel größer waren als beim Schach. Der Offiziant war keine Spielernatur, aber er konnte verstehen, warum Kwan Lok vom Go so besessen war. Genau wie in der Wirklichkeit ging es auf dem Spielbrett um Leben und Tod, um Freiheit und ihren leichtfertigen Verlust.
    Der Frauenmörder bewegte sich so unangefochten durch Hamburg wie einer der gegnerischen linsenförmigen Spielsteine über das Brett. Boysen musste seine eigenen Figuren einsetzen, um den Verbrecher einzukesseln. Doch der Offiziant hatte keine eigenen Spielsteine, er musste auf fremde Hände zurückgreifen.
    Boysen seufzte. Das Leben war doch verdammt kompliziert. Kwan Lok schien darunter nicht zu leiden. Allerdings konnte man an seinem unbeweglichen Gesicht auch nicht ablesen, was er wirklich dachte. Der Polizist und der Drachenkopf waren in ihr Spiel vertieft. Boysen verlor, wehrte sich allerdings nach Kräften. Das Aufgeben widersprach seiner Natur. Der Offiziant verlor jedes Zeitgefühl. Irgendwann öffnete sein Gastgeber den Mund nicht nur zum Teetrinken, sondern auch zum Sprechen.
    »Wie kann der unwürdige Kwan Lok dem hochwohlgeborenen Offizianten helfen?«
    »Es gibt einen Mann, der zu viel Blut vergießt«, begann Boysen. Er berichtete von den Morden, die der Schauermann bereits auf dem Gewissen hatte. Und er erzählte auch, dass er einen starken Verdacht gegen Carl Lütke hatte.
    »Warum greift sich die tapfere Polizei diesen Abschaum nicht?«, wollte Kwan Lok wissen, der die chinesische Verbrechergesellschaft von Hamburg befehligte.
    »Ich kann nicht«, gab Boysen zu. »Sein Vater ist zu mächtig. – Aber du kannst, Kwan Lok.«
    Der alte Chinese lachte und zündete sich eine Zigarette an, was mit seinen langen Fingernägeln nicht gerade einfach war. »Warum sollte der nichtswürdige Kwan Lok das tun?«
    Boysen zögerte einen Moment. Nun kamen sie zum eigentlichen Geschäft. Der Offiziant musste etwas bieten, wenn er etwas forderte. In diesem Moment befand er sich weit von den gesetzlichen Grundlagen der Polizeiarbeit entfernt. Sehr weit.
    »Ich sorge dafür, dass deine Geschäfte ungestört bleiben«, sagte Boysen langsam. »Ich weiß, dass deine Buttjes sich mit Schmuggel, Passfälschungen, Schutzgeld und Raub befassen. Wenn meine Kollegen hinter deinen Leuten her sind, werde ich dich warnen. Wenn das Constabler Corps gegen deine Bruderschaft vorgehen will, werde ich falsche Spuren legen, damit ihr unbehelligt bleibt.«
    Kwan Lok lachte, als ob Boysen einen besonders guten Witz gemacht hätte. Dabei war es dem Offizianten todernst. Er setzte seine Karriere aufs Spiel und riskierte eine Zuchthausstrafe. Aber das nahm er in Kauf, wenn er nur den Schauermann endlich in die Finger

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