Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)
bekam.
»Und was genau verlangt Offiziant Boysen von seinem nichtswürdigen Diener?«
»Deine Buttjes sollen diesen Carl Lütke aufspüren«, sagte Boysen. »Er treibt sich im Hafen oder im Gängeviertel herum, der Hundesohn ist einfach überall. Sie sollen ihn in die Enge treiben, aber verhaften will ich ihn selbst. – Es kann dir egal sein, was mit dem Dreckskerl passiert, er gehört nicht zu deinem Geheimbund.«
Der Drachenkopf nickte langsam und führte erneut die henkellose Schale mit dem Jasmintee zum Mund.
»Wir wollen nun weiterspielen.«
Boysen versuchte, sich auf das Go-Brett zu konzentrieren. Trotz seiner Ostasien-Erfahrung hatte er immer noch Schwierigkeiten damit, einen Chinesen zu durchschauen. Aber wenn er Kwan Loks Verhalten richtig deutete, hatte der Verbrecherkönig ihm soeben zugestimmt. Irgendwann war die Partie beendet. Im Gegensatz zu Spielen wie Schach oder Dame gab es keinen direkten Sieger oder Verlierer. Kwan Lok hatte zwar eigentlich gewonnen, doch auch Boysen war nicht vollständig vernichtet worden – weder auf dem Spielbrett noch in der Wirklichkeit.
Oder?
Als Boysen sich verabschiedete, wurde ihm erst so richtig bewusst, dass er sich in Anhängigkeit von einem eiskalten Kriminellen begeben hatte. In den nächsten Tagen würde sich zeigen, ob Kwan Loks Buttjes als Spürhunde etwas wert waren. Dem Offizianten war nicht ganz wohl in seiner Haut angesichts der Lawine, die er losgetreten hatte. Aber nun war es zu spät, um sich noch über die Konsequenzen seines Handelns zu sorgen. Er konnte nichts mehr rückgängig machen.
Boysen beschloss, das Grübeln sofort einzustellen. Also verließ er die Schmuckstraße, fuhr Richtung Hafen und schaute noch bei der dicken Stine vorbei.
7. Kapitel: Chinesische Charade
Theodor Lütke saß im Herrenzimmer seiner Villa. Der Reeder musste sich zusammenreißen. Am liebsten wäre er hin und her gelaufen, um seiner inneren Unruhe Herr zu werden. Aber das widersprach seinem Naturell. Selbstbeherrschung war eine seiner stärksten Charaktereigenschaften.
Schade, dass ich Carl diese Tugend offenbar nicht vererben konnte , dachte der mächtige Mann verdrossen. Wieder warf er einen Blick auf die Standuhr, die in der Ecke des getäfelten Raumes vor sich hin tickte. Als das Uhrwerk mit einem hübschen Glockenspiel die achte Abendstunde ankündigte, betrat der Diener den Raum. Der Lakai reichte seinem Herrn ein Tablett, auf dem sich eine Visitenkarte befand. Lütke wusste schon vorher, welcher Name darauf zu sehen war. Er hatte den Besucher schließlich zu sich bestellt.
»Ich lasse bitten.«
»Sehr wohl.«
Der Diener verschwand und kehrte gleich darauf in Begleitung eines breitschultrigen Herrn zurück. Unter dem maßgeschneiderten Anzug des Besuchers verbarg sich ein athletisch-durchtrainierter Körper, und seine Bewegungen waren kraftvoll und gleichzeitig militärisch-präzise. Selbst ein schlechter Menschenkenner hätte begriffen, dass dieser Herr ein Offizier oder Ex-Offizier in Zivil war.
»Gestatten: Heinrich Wallmann.« Der Besucher verbeugte sich knapp und schlug seine Hacken zusammen. Der Reeder deutete auf einen Sessel. Wallmann nahm Platz.
»Darf ich Ihnen ein Glas Sherry anbieten?«
»Verbindlichsten Dank, Herr Lütke.«
Der Lakai servierte den Herren den Sherry und verschwand. Sobald der livrierte Diener die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte Lütke: »Sie wurden mir von Konsul Mertens empfohlen. Ich verlasse mich auf Ihre Diskretion.«
»Das können Sie, Herr Lütke«, versicherte Wallmann. »Bedenken Sie, dass mein makelloser Ruf mein wichtigstes Kapital ist.«
Das leuchtete dem Reeder ein. Er nickte langsam, zeigte aber immer noch einen ablehnenden Gesichtsausdruck.
»Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal die Dienste eines Privatdetektivs würde in Anspruch nehmen müssen.«
Wallmann lächelte und nahm einen Schluck Sherry. »Sie wären verwundert, wie viele hoch angesehene Hamburger Familien zu meinen Klienten zählen, Herr Lütke. Wie gesagt – bei mir ist jedes Geheimnis gut aufgehoben.«
»Also gut.« Der Reeder hielt dem Detektiv eine geöffnete Zigarrenkiste hin und schob sich selbst eine Havanna zwischen die Lippen. »Mein Sohn Carl – er treibt sich mit Flittchen herum, in den Elendsvierteln.«
Wallmann rauchte seine Zigarre an. »Mit Verlaub, haben wir uns nicht alle in der Studentenzeit oder auf der Kadettenanstalt die Hörner abgestoßen, Herr Lütke?«
»Gewiss, gewiss.« Lütke
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