DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
in aller Stille sein bisheriges Leben studieren. «Ich wollte nie werden wie ich bin, daher machte ich mich auf auf die Suche nach mir selbst», philosophiert er. Das wäre nicht weiter von öffentlichem Interesse, kreuzte auf seinen Exkursionen in sein Innerstes nicht auf Schritt und Tritt ein prominenter Störenfried auf: Roger Schawinski.
In seinen frühsten Erinnerungen erscheint der Lockenkopf als Heisssporn im jüdischen Fussballklub Hakoah. «Auf dem Platz war sein ganzes Wesen auf einen Blick erkennbar», beschreibt Picard. «Wenn er als Mittelstürmer unfair gestoppt wurde, rappelte er sich blitzschnell auf und spurtete blindlings in Richtung gegnerisches Tor.» Er verfüge über einen inneren Kompass und wisse instinktiv, wo der Feind ist.»
Als anfangs Juni 1967 in Israel der Sechstagekrieg ausbrach, gehörte Schawinski zu den Unentwegten, die sofort alles stehen- und liegenliessen, um sich für die Front rekrutieren zu lassen. «Warum bleibe ich passiv, wenn mein Volk in Gefahr ist?» fragte er sich selbst, «ich bin doch auch ein bewusster Jude.»
Zum nächsten Zusammentreffen kam es 1969 beim Schweizer Fernsehen. Der erfahrene Live-Regisseur Picard wurde mit Volontär Schawinski für einen kleinen Rundschau-Filmbericht über die fragwürdige Werbeaktion eines Zürcher Juweliers auf die Piste geschickt. Reporter Schawinski hatte herausgefunden, dass ein reger Schwarzhandel mit Rabattkarten blühte.
Anstatt nun den Geschäftsführer und ein paar Passanten zu befragen, pflückte sich Schawinski mitten auf der Strasse einen kleinen Jungen heraus, der sich mit einem raren Sujet ein Sackgeld verdienen wollte. Ob er es richtig fände, sich auf diese Weise zu bereichern, herrschte er ihn vor laufender Kamera an.
Picard war entsetzt über die schonungslose Methode. «Du kannst doch nicht wegen ein paar Fränkli diesen armen Buben blossstellen», reklamierte er.
Trotz moralischer Bedenken konnte Picard seine Bewunderung für den Draufgänger nie verbergen. Gebannt verfolgte er seinen Wandel zum «Robin Hood der Konsumenten» mit dem Kassensturz, und es erstaunte ihn keineswegs, dass er es bei der SRG nicht lange aushielt. «Einer wie Roger ist als Einzelkämpfer und erklärter Anführer unterwegs», analysiert er, «das entspricht seiner Lebensaufgabe.»
Denn Roger sei ein reinkarnierter Krieger, ein zwanghafter, aber lustvoller Angreifer, der die Energie von anderen Desperados magisch anziehe. Dabei sei er nicht etwa ein hinterhältiger Meuchler, nein, er nahe stets mit offenem Visier. «Er ist eine Mischung aus Zorro, Batman und Iwan dem Schrecklichen!»
Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten: Einmal besuchten die zwei Seelen – ach! – die Vernissage des sizilianischen Malers Gaetano Tranchino, den sie bewundern. Dort riss sich Picard in einer seltsamen Anwandlung das düstere Gemälde mit dem sinkenden Dampfer unter den Nagel; nur noch der Bug ragt noch aus dem stürmischen Meer, daneben schwimmt ein Musiker und hält verzweifelt seine Geige in die Höhe. Schawinski ärgerte sich masslos, denn eigentlich war er ebenfalls an diesem Sujet interessiert. Eingeschnappt kaufte er ein anderes Werk: Es zeigt einen Bonvivant im Schaukelstuhl, sein Cello an einen Baum gelehnt.
Wochenlang marterte Schawinksi seinen Freund mit dem Vorwurf, ihm sein Lieblingsbild vor der Nase weggeschnappt zu haben – bis es Picard nicht mehr aushielt und das Bild eintauschte.
Das einzige, was Picard bis heute nicht versteht, sei «dieser abgrundtiefe Hass» zwischen Schawinski und Schellenberg. Ihm selbst stehen beide Menschen sehr nahe. «Schälli ist der Kapitän eines schwerfälligen Passagierdampfers, Schawi hingegen der ruchlose Pirat auf einem Kriegsschiff», vergleicht er. Und hart sei das Los des Seeräubers: «Weil er an und für sich keine Existenzberechtigung hat, muss er sich jeden Tag aufs Neue behaupten. Jeden Morgen muss er sich überlegen: Wen überfalle ich heute?»
Zugegeben, Schawinski sei zweifellos «eine der grossen Figuren des Landes im letzten Viertel dieses Jahrhunderts», räumt Picard ein. «Keiner versteht wie er die Kunst, seinen Überlebenskampf so authentisch zu inszenieren.» Damit gebe er allen Unterdrückten das Gefühl, dass es sich lohne, niemals aufzugeben. Aber auch Schellenberg sei «eine wunderbare Figur», zwar weder Pionier noch Bildschirmheld, «aber ein Philosoph und enorm politisch denkender Mensch mit hohem Verantwortungsbewusstsein, ein brillanter Denker und Vorbild an Weisheit».
Weitere Kostenlose Bücher