Der Scheich
würde seiner Schwester und Stephens alle Arrangements überlassen, so daß er selbst sich um nichts kümmern mußte. Nachdem er einen Entschluß gefaßt hatte, den er als Opfer auf dem Familienaltar betrachtete, wollte er die Prozedur möglichst schnell hinter sich bringen. Aus diesem Grund war er erbost, weil Diana seine Pläne durchkreuzte. Zum erstenmal war es zwischen ihnen zu einem Machtkampf gekommen. Ungeduldig zuckte sie die Achseln, als sie sich an die heftige Diskussion erinnerte. Diese wäre sicher zu einem vulgären Streit ausgeartet, hätte sie etwas länger gedauert. Nun verbannte sie Aubrey und seine Selbstsucht energisch aus ihren Gedanken.
Es war immer noch heiß. Reglos lag sie auf dem schmalen Feldbett und wünschte, sie hätte sich für ein etwas breiteres entschieden. Wahrscheinlich würde sie in die Badewanne stürzen, die neben ihr stand, wenn sie im Schlaf eine ungeschickte Bewegung machte. Sie dachte wehmütig an den Komfort indischer Zelte und mußte dann über sich selbst lachen. «Memme!» flüsterte sie schläfrig. «Das bißchen Unbequemlichkeit wird dich schon nicht umbringen.»
Beim Frühstück wirkte ihre Fröhlichkeit geradezu herausfordernd. Nachdem die Lasttiere aufgebrochen waren, blieben die Mayos noch eine Weile in der Oase, und da Dianas mürrischer Bruder hartnäckig schwieg, unterhielt sie sich mit Stephens. Aufmerksam überprüfte er den Korb mit dem Gabelfrühstück. Den würde der Mann transportieren, der zu ihrem persönlichen Diener ernannt worden war. Nun wartete er bei Mustafa Ali und zehn anderen Arabern auf die Weiterreise.
Endlich war es an der Zeit. Stephens inspizierte Dianas Pferd und zögerte.
«Alles in Ordnung, Stephens?» fragte sie. «Sind Sie zufrieden? Schauen Sie nicht so finster drein! Ich wünschte, Sie könnten mich begleiten und betreuen. Doch leider geht das nicht. Ohne Sie wäre Sir Aubrey verloren.»
Plötzlich erschien ihr der Gedanke an eine Reise ohne Stephens ungeheuerlich. Das Lächeln, das sie ihm schenkte, war ernster als beabsichtigt. Dann schlenderte sie zu ihrem Bruder, der erbost an seinem Schnurrbart zupfte.
«Es hat wohl keinen Sinn, noch länger herumzutrödeln», meinte sie möglichst beiläufig. «Sicher hast du keine Lust, dich unterwegs zu beeilen, und du möchtest vor dem Dinner in Biskra eintreffen.»
Seufzend wandte er sich zu ihr. «Es ist noch nicht zu spät, deine Meinung zu ändern, Diana. Um Himmels willen, gib diesen idiotischen Plan auf! Du forderst das Schicksal heraus.» Zum erstenmal schwang echte Sorge in seiner Stimme mit, und Dianas Entschluß geriet ins Wanken, aber nur für wenige Sekunden.
«Soll ich dir um den Hals fallen und flehen: ‹Bring mich zurück, lieber Vormund, von jetzt an werde ich brav sein!›? Oder soll ich mich dir zu Füßen werfen, meine Stirn winselnd auf deinen Stiefel schlagen und dir in der hiesigen Landessprache ewigen Gehorsam geloben? Mach dich nicht lächerlich, Aubrey!
Du kannst nicht von mir erwarten, daß ich es mir in letzter Minute anders überlege. Alles ist in bester Ordnung, und Mustafa Ali wird für einen reibungslosen Ablauf meiner Reise sorgen. Immerhin hat er in Biskra einen gewissen Ruf zu verteidigen. Du weißt, wieviel die Behörden von ihm halten, und er will seine Reputation sicher nicht aufs Spiel setzen. Außerdem kann ich, dank der Erziehung, die ich bei dir genossen habe, auf mich selbst aufpassen. Was meine Schießkünste angeht, muß ich mich wahrlich nicht verstecken. Sogar du hast zugegeben, daß ich eine gute Schülerin war.»
Lachend zog sie ihren Revolver, zielte auf einen niedrigen, flachen Felsen, der in einiger Entfernung aus dem Sand ragte, und feuerte. Sie war eine ausgezeichnete Schützin. Aber diesmal verfehlte sie ihr Ziel. Im Gestein zeigte sich nicht die geringste Spur. Verwirrt runzelte sie die Stirn und starrte ihren Bruder an, dann die Waffe in ihrer Hand.
«Diana!» schimpfte Aubrey. «Was für ein unsinniges Spektakel!»
«Das verstehe ich nicht.» Immer noch verblüfft, musterte sie den glatten Stein. «Wie konnte ich danebenschießen? Dieser Felsblock ist groß wie ein Haus», murmelte sie nachdenklich und hob wieder den Revolver.
Aber Sir Aubrey umklammerte ihr Handgelenk. «Mein Gott, mach dich nicht ein zweites Mal zum Narren! Nun hast du deinem Prestige wirklich genug geschadet», fügte er etwas leiser hinzu, mit einem Blick auf das arabische Publikum.
Nur zögernd steckte sie ihre kleine Waffe in das Halfter zurück. «Das verstehe
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