Der Scheich
erkannte sie, wie inbrünstig sie sich ihr Leben lang nach der Wüste gesehnt hatte. Seltsamerweise fühlte sie sich hier heimisch, so als hätte die gewaltige schweigende Leere auf sie gewartet. Und nun wurde sie willkommen geheißen, vom leise raschelnden, wispernden Sand, dessen hügelige, sich ständig verändernde Fläche sie immer tiefer in eine unbekannte, geheimnisvolle Welt zu locken schien.
Doch sie wurde von Aubreys Stimme jäh aus ihren Träumen gerissen. «Du hast verdammt lange gebraucht.»
«Sei kein Frosch!» entgegnete sie und setzte sich mit einem Lächeln an den Tisch. «Du hast Stephens, der dir das Kinn rasiert und dir die Hände wäscht. Aber ich muß allein zurechtkommen, was ich dieser idiotischen Marie verdanke.»
Lässig nahm er die Füße vom Stuhl, schnippte Zigarrenasche auf den Boden und klemmte das Monokel fester ins Auge. Dann musterte er seine Schwester mißbilligend. «Willst du dich etwa jeden Abend für Mustafa Ali und die Kameltreiber so herausputzen?»
«Ich beabsichtige keineswegs, den ehrenwerten Mustafa an meinen Tisch zu bitten. Und ich putze mich für niemanden heraus, wie du es so charmant nennst. Wenn du glaubst, ich hätte mich dir zuliebe umgezogen, hältst du dich für zu wichtig, teurer Aubrey. Ich hatte eben Lust dazu. Die Forscherin, die wir vor unserer ersten gemeinsamen Reise in London trafen, erklärte mir, es sei wichtig für die Moral und das körperliche Wohlbefinden, nach einem mühsamen Tag in Reithose und Stiefeln was Hübsches, Bequemes anzuziehen. Und du hast dich doch auch umgekleidet. Wo liegt da der Unterschied?»
«Ganz einfach - du solltest dich nicht noch schöner machen», fauchte Aubrey, «weil du ohnehin schon hübsch genug bist.»
«Seit wann findest du mich hübsch?» Diana zog die Brauen hoch und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte. «Hast du einen Sonnenstich?»
«Red keinen Unsinn! Du weißt genau, wie gut du aussiehst - viel zu gut für diese verrückte Expedition.»
«Würdest du mir erklären, worauf du hinauswillst?» bat sie sanft. Doch der finstere Blick, mit dem sie ihren Bruder bedachte, strafte ihren freundlichen Ton Lügen.
«Heute habe ich gründlich nachgedacht, Diana. Es ist unmöglich, daß du diese Reise unternimmst.»
«Ist es nicht etwas zu spät für solche Bedenken?» unterbrach sie ihn spöttisch.
Aber er ignorierte ihren Einwand. «Das müßtest du eigentlich selber einsehen - jetzt, wo du mit den Realitäten deines Plans konfrontiert wirst. Es kommt nicht in Frage, daß du einen Monat lang ganz allein mit diesen verdammten Niggern durch die Wüste ziehst ... Obwohl ich seit September nicht mehr dein Vormund bin, fühle ich mich für dich verantwortlich. Sicher, es war einfacher für mich, dich wie einen Jungen großzuziehen, wie einen kleinen Bruder. Trotzdem müssen wir der Tatsache ins Auge sehen, daß du eine Frau bist - eine sehr junge Frau. Und es gibt gewisse Dinge, die eine junge Frau nicht tun darf. Wärst du der Bruder, den ich mir immer gewünscht habe, würde ich anders darüber denken. Aber du bist nun einmal kein Junge, und diese Reise ist unmöglich - völlig unmöglich.» Ungeduld und Zorn schwangen in seiner Stimme mit.
Langsam zündete sich Diana eine Zigarette an, dann brach sie in lautes Gelächter aus. «Hätte ich nicht mein ganzes Leben mit dir verbracht, würde mich deine brüderliche Fürsorge tief beeindrucken, Aubrey. Ich müßte glauben, du meinst es wirklich ernst. Aber da ich dich kenne, weiß ich es besser. Nicht die Angst um meine Sicherheit bedrückt dich. Oh, nein, du hast nur keine Lust, ohne mich nach Amerika zu fahren. Du hast dich daran gewöhnt, daß ich dir jene Ärgernisse und Unannehmlichkeiten aus dem Weg räume, die auf Reisen immer auftreten. In Biskra warst du ehrlicher zu mir, als du Einwände gegen meine Expedition erhoben hast, ohne irgendwelche Gründe zu nennen. Warum erwähnst du sie erst heute abend?»
«Weil ich dachte, hier draußen würdest du endlich zur Vernunft kommen und mir zustimmen. In Biskra war es sinnlos, mit dir zu streiten. Du hast gegen meinen Willen deine Vorbereitungen getroffen. Dabei ließ ich es vorerst bewenden, denn ich hoffte, in der Wildnis würdest du einsehen, wie unmöglich dein Plan ist. Diana, gib diese verrückte Reise auf.»
«Nein.»
«Ich hätte gute Lust, dich dazu zu zwingen.»
«Das kannst du nicht. Ich bin meine eigene Herrin. Und du hast kein Recht, mir Befehle zu erteilen oder Anspruch auf mich zu erheben. Du
Weitere Kostenlose Bücher