Der Scheich
bewaffneten, berittenen Wachtposten begleitet. Bis sie herankamen, würde es noch eine Weile dauern.
Auf mehreren Kamelen saßen dichtvermummte, formlose Gestalten. Das müssen Frauen sein, dachte Diana. Welch ein gewaltiger Unterschied zwischen ihr und diesen armen Geschöpfen ... Der bloße Anblick bedrückte sie. Was für ein Leben führten sie? Rebellierten sie jemals gegen die stumpfsinnige Plackerei, die Zwänge, die ihnen auferlegt wurden? Sehnten sie sich nach der Freiheit, die sie, Diana, genoß? Oder waren sie so tief in den Sitten ihres Landes verwurzelt, daß sie niemals über ihren Tellerrand hinausblickten? Sie hätte niemals ein solches Dasein fristen können. Deshalb lehnte sie auch die Ehe ab, selbst in der edelsten Form, die wechselseitige Rücksichtnahme und Toleranz beinhaltete. Beim bloßen Gedanken schauderte ihr.
Aubrey fand die Ehe nur unangenehm, ihr eigenes gefühlskaltes Temperament sträubte sich mit aller Macht dagegen. Daß sich die Frauen der entwürdigenden Intimität und den Einschränkungen des Ehelebens unterwarfen, erfüllte sie mit Verachtung und Staunen. Unwiderruflich dem Willen und den Gelüsten eines Mannes unterworfen zu sein, der das Recht besaß, in der Ehe uneingeschränkten Gehorsam zu fordern - dieser Gedanke erschien ihr gräßlich. Für die Frauen aus dem Westen war das schon schlimm genug. Aber was mußten die Orientalinnen erleiden, die Sklavinnen männlicher Fleischeslust, mißachtet und auf eine Stufe mit den Tieren gestellt? Diese Frage ließ Diana trotz der Hitze frösteln.
Als sie ihre bebende Hand auf den Pferdehals legte, zuckte das nervöse Geschöpf zusammen, und sie lenkte es an Mustafa Ali vorbei, dem sie einen Befehl zurief. Er war der Karawane entgegengeritten. Nun sprach er mit dem Kommandanten der bewaffneten Wachtposten.
Da der Anblick der Karawane so grauenhafte Gedanken heraufbeschwor, fand Diana keinen Gefallen mehr an dem Spektakel. Sie wollte nur noch weg von hier und dies alles vergessen. Ohne auf ihre Eskorte zu warten, galoppierte sie davon. Sie saß auf einem schnellen Pferd, und so dauerte es einige Zeit, bis sie eingeholt wurde. Als sie Hufschläge hinter sich hörte und über die Schulter spähte, sah sie Mustafa Alis ärgerliches Gesicht. Sie winkte ihn zu sich.
«Interessiert sich Mademoiselle nicht für die Karawane?» fragte er verwundert.
«Nein», erwiderte sie kurz angebunden und erkundigte sich nach Einzelheiten, die mit ihrer eigenen Expedition zusammenhingen. Er sprach fließend Französisch, gab ihr die gewünschten Auskünfte, und dann erzählte er Anekdoten über prominente Persönlichkeiten, die er in die Wüste geführt hatte. Diana musterte ihn aufmerksam. Offenbar war er ein Mann in mittleren Jahren. Sein Alter ließ sich nur schwer schätzen, da er wegen des dichten Spitzbarts, der Mund und Kinn verbarg, vermutlich älter wirkte. Dieser Bart war für sie der einzige Nachteil an ihm, denn sie pflegte die Menschen nach ihren Lippen zu beurteilen. Bei den Orientalen gaben die Augen keine verläßliche Auskunft über den Charakter, weil sie meistens den Blick senkten, wenn ein Europäer zugegen war.
Auch Mustafa Ali wich Dianas Blick aus. Als sie ihn in Biskra engagiert hatte, waren ihr seine Augen nicht so unstet erschienen. Aber sie maß diesem Gedanken keine Bedeutung bei, weil sie den fremdartigen Reitstil des Arabers viel interessanter fand. Die extrem kurzen Steigbügel hätten schmerzhafte Krämpfe in ihren Muskeln verursacht. Belustigt wies sie ihn darauf hin, worauf der Mann anfing, über seine Pferde zu sprechen. Sie ritt ein außergewöhnlich schönes Tier, was sie Mustafa Ali verdankte, und das rechnete sie ihm hoch an.
Als er zu ihr gekommen war, um ihr das Pferd zu zeigen, hatte er dessen Vorzüge begeistert gepriesen, aber die Herkunft nur vage umschrieben. Deshalb glaubte Diana, daß das edle Geschöpf gestohlen oder auf andere unrechtmäßige Weise erworben worden war. Taktvoll verzichtete sie auf weitere Nachforschungen. Das alles ging sie nichts an. Ihr genügte es, daß sie die Reise auf dem Rücken eines temperamentvollen Tieres unternehmen konnte, dessen Launen einem ansonsten vielleicht eintönigen Ritt eine gewisse Würze verleihen würden. In Biskra hatte sie andere Pferde gesehen, richtige Langweiler.
Sie erkundigte sich bei Mustafa Ali nach dem Gebiet, das sie gerade durchquerten. Offenbar wußte er nichts Bemerkenswertes zu berichten. Und was er wichtig fand, erschien ihr belanglos. Außerdem kam
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