Der Scheich
ich nicht», wiederholte sie. «Wahrscheinlich liegt es am Licht.» Sie schwang sich in den Sattel ihres Pferdes, lenkte es neben den Hengst, auf dem ihr Bruder saß, und reichte ihm die Hand. «Auf Wiedersehen, Aubrey. Erwarte mich einen Monat nach deiner Ankunft in New York. Von Cherbourg aus schicke ich dir ein Telegramm. Sicher werde ich rechtzeitig in Übersee eintreffen, um deine Trauzeugin zu spielen», meinte sie fröhlich, nickte Mustafa Ali zu und steuerte ihr Pferd südwärts.
Schweigend ritt sie dahin. Der Streit mit Aubrey hatte einen üblen Nachgeschmack hinterlassen. Natürlich wußte sie, daß sie sich unkonventionell verhielt. Aber sie war ja auch unkonventionell erzogen worden. Bei ihren Reiseplänen hatte sie keinen Gedanken an mögliche Widerstände verschwendet. Selbst wenn ihr solche Überlegungen durch den Sinn gegangen wären, hätten sie nichts an ihrem Entschluß geändert.
Zunächst hatte es sie erstaunt und amüsiert, daß ihr Vorhaben ein solches Aufsehen erregte. Dann hatte sie sich darüber geärgert. Warum kümmerten sich die Leute nicht um ihren eigenen Kram? Daß Aubrey nun in die allgemeine Kritik einstimmte und sich um hundertachtzig Grad gedreht hatte, konnte sie einfach nicht begreifen. Sie war wütend auf ihn, und in ihren Zorn mischte sich Verachtung. Außerdem war sie nach ihrem anfänglichen Staunen über seinen Meinungswandel nur um so entschlossener, an ihren Prinzipien festzuhalten. Die hatte er ihr beigebracht, und wenn er plötzlich wankelmütig wurde, war das seine Sache. Jedenfalls sah sie keinen Grund, von einer Überzeugung abzuweichen, mit der sie aufgewachsen war. Wenn Aubrey wirklich glaubte, sie würde in Gefahr schweben, hätte er sich ausnahmsweise opfern und mit ihr kommen können.
Wie Jim Arbuthnot betont hatte, würde die Reise ja nicht lange dauern - nur einen Monat. Aber Aubreys Selbstsucht erlaubte ihm nicht einmal dieses kleine Zugeständnis. Schön und gut, Diana würde genausowenig nachgeben. Das durfte er nicht von ihr verlangen. Endlich ritt sie durch die Wüste. Von dieser Expedition hatte sie jahrelang geträumt, alles bis ins kleinste geplant. Und jetzt sollte sie darauf verzichten? Die Vorstellung, ihr könne Gefahr drohen, brachte sie zum Lächeln. Was sollte ihr in der Wüste zustoßen, die schon so lange nach ihr rief? Die Szenerie ringsum kam ihr seltsam vertraut vor. Am wolkenlosen Himmel hing eine sengende Sonne, flimmernde Hitzeschleier stiegen aus dem trockenen Boden auf. Und die filigranen Umrisse der Palmen in einer fernen Oase erschienen ihr wie gute alte Bekannte. Noch nie war sie so glücklich gewesen. In vollen Zügen genoß sie das Gefühl, jung, kräftig und gesund zu sein, und spürte die Bewegungen des lebhaften Pferdes zwischen ihren Knien. Und sie schwelgte in ihrer neuen Macht.
Auf diesen Tag hatte sie sich so lange gefreut. Nun übertraf die Wirklichkeit sogar ihre kühnsten Erwartungen. Einen ganzen Monat lang würde sie dieses vollkommene Glück auskosten. Ärgerlich dachte sie an das Versprechen, das sie ihrem Bruder gegeben hatte. Die himmlische Freiheit der Wüste mit dem banalen amerikanischen Gesellschaftsleben zu vertauschen war ein Unding!
Allein der Gedanke an endlose Wochen in New York widerte sie an. Newport würde nicht ganz so schlimm sein, denn diese Stadt hatte ihre Reize. Hoffentlich würde Aubrey möglichst bald eine Ehefrau finden und seine Schwester von ihren lästigen Pflichten erlösen. Er rechnete mit ihr, und sie durfte ihn natürlich nicht im Stich lassen. Aber sie würde aufatmen, wenn das alles überstanden war. Sobald Aubrey geheiratet hatte, würde sie nicht mehr mit ihm streiten. Sie versuchte sich die künftige Lady Mayo vorzustellen. Doch sie vergeudete kein Mitleid an das Mädchen. Im allgemeinen konnten die Amerikanerinnen sehr gut für sich selbst sorgen.
Lächelnd streichelte sie ihr Pferd. Vorerst interessierte sie sich herzlich wenig für Aubrey und ihre künftige Schwägerin. Die Wüste hatte viel mehr zu bieten. Schon seit einiger Zeit näherte sich eine Karawane, und Diana zügelte ihr Pferd, um die lange Reihe der Kamele zu beobachten, die langsam und schaukelnd dahintrotteten. Diese großen Tiere mit ihrem hochmütigen Gang und den langen, schwankenden Hälsen faszinierten sie immer wieder. Auf ihren Höckern türmten sich schwere Bündel.
Abgesehen von den Kaufleuten, die Kamele ritten, und einer buntgemischten Schar - einige Leute auf Eseln, andere zu Fuß - wurde die Karawane von
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