Der Scheich
kannst nicht einmal Geschwisterliebe von mir verlangen, denn da du sie mir nie entgegengebracht hast, brauchst du sie von mir auch nicht zu erwarten. In dieser Hinsicht müssen wir einander nichts vormachen. Und jetzt will ich nicht mehr mit dir streiten. Ich werde auf keinen Fall nach Biskra zurückkehren.»
«Wenn du befürchtest, man würde dich auslachen...» begann er spöttisch, aber ihr durchdringender Blick brachte ihn zum Schweigen.
«Unsinn! Davor fürchten sich nur Feiglinge. Und ich bin kein Feigling.»
«Sei doch vernünftig, Diana!»
«Aubrey, das war mein letztes Wort. Nichts wird mich von meinem Entschluß abbringen. Weil ich dich gut genug kenne, überzeugen mich deine Einwände nicht. Dir geht es nur um deinen eigenen Vorteil, nicht um meinen. Das darfst du nicht leugnen, denn es ist die reine Wahrheit.»
Sie starrten sich über den kleinen Tisch hinweg an. Die Zornesröte stieg Sir Aubrey ins Gesicht, sein Monokel fiel herab und stieß klirrend gegen einen Westenknopf. «Was für ein verdammtes halsstarriges kleines Biest du bist!»
Gelassen erwiderte sie seinen Blick. «Ich bin genau das geworden, was du aus mir gemacht hast», entgegnete sie verächtlich. «Warum also über das Ergebnis klagen? Deiner Erziehung habe ich es zu verdanken, daß ich mich nicht um die Dinge schere, die die Freiheit meines Geschlechts einschränken. Und nun machst du mir deswegen Vorwürfe. Mein Leben lang bist du mir mit gutem Beispiel vorangegangen, was Selbstsucht und Hartnäckigkeit betrifft. Wundert es dich, daß ich von dir gelernt habe? Du hast mein Wesen geformt. Wieso staunst du neuerdings über die Willenskraft, die du mir eingebleut hast? Du bist unlogisch. Es ist deine Schuld, nicht meine. Eines Tages mußte es zu dieser Auseinandersetzung kommen - nur etwas früher, als ich es erwartet habe. Bisher stimmten meine Wünsche mit deinen überein. Aber jetzt trennen sich unsere Wege. Wie ich vorhin schon betonte - ich bin meine eigene Herrin, und ich lasse mich nicht herumkommandieren. Bitte, Aubrey, das solltest du verstehen. Beenden wir den Streit. Ich werde dir nach New York folgen, so wie ich es versprochen habe. Und ich pflege mein Wort nicht zu brechen. Doch mein Leben gehört mir allein. Deshalb tue ich, was mir beliebt. Und ich werde mich niemals einem anderen Menschen unterwerfen.»
Seine Augen verengten sich. «Hoffentlich begegnest du irgendwann einem Mann, der dir Gehorsam beibringt», stieß er erbost hervor, und sie lächelte noch verächtlicher.
«Dann gnade ihm Gott!» zischte sie und verschwand in ihrem Zelt.
Aber sobald sie allein war, wurde ihre Wut von Belustigung abgelöst. Immerhin war es ihr gelungen, den trägen Aubrey zu erzürnen. Sie wußte sehr gut, warum er während der letzten Wochen in Biskra böse auf sie gewesen war. Obwohl er oft entlegene Winkel der Erde bereiste, schätzte er seine Bequemlichkeit und vermied überflüssige Strapazen. Falls es doch zu Störungen kam, mußte sich Diana, die jünger und weniger blasiert war, damit herumschlagen. Schon immer war ihr klar gewesen, daß er sie ausnützte und sämtliche Schwierigkeiten auf sie abwälzte. Vielleicht fand er ihr Verhalten ja tatsächlich leichtsinnig, und er mochte sogar Gewissensbisse wegen ihrer Erziehung haben. Aber im Grunde dachte er nur an seine Bequemlichkeit. Diese Erkenntnis trug nicht eben dazu bei, ihren Zorn auf ihn zu mildern. Er war und blieb eben ein Egoist. Seine eigenen Interessen hatten das gemeinsame Leben geprägt, niemals ihre.
Und sie wußte auch, wieso er sie so beharrlich drängte, ihn nach Übersee zu begleiten. Es sollte ein Jagdausflug werden - allerdings keiner von der üblichen Sorte. Diesmal wollte Sir Aubrey kein Wild erlegen, sondern eine Ehefrau aufspüren - eine unausweichliche und eher lästige Pflicht, vor der er sich bereits seit einiger Zeit drückte. Frauen langweilten ihn, und der bloße Gedanke an die Ehe widerte ihn an. Andererseits brauchte er einen Sohn. Ein Mayo mußte einen Stammhalter haben, der später die großen englischen Ländereien übernahm. Schließlich befanden sie sich seit mehreren hundert Jahren im Familienbesitz. Noch nie hatte ihn eine Frau interessiert. Aber von allen, die er kannte, gingen ihm Amerikanerinnen am wenigsten auf die Nerven. Und so hatte er beschlossen, seine künftige Gemahlin in den Vereinigten Staaten zu suchen.
Für ein paar Monate würde er ein Haus in New York mieten, dann in Newport. Deshalb war Dianas Gesellschaft unabdingbar. Er
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