Der Scheich
Rennstall bei Auteuil, Madame, als ich noch ein kleiner Junge war. Dann verbrachte ich fünf Jahre bei der französischen Kavallerie, und danach kam ich zu Monseigneur.»
«Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?»
«Fünfzehn Jahre, Madame.»
«Fünfzehn Jahre!» rief sie erstaunt. «Fünfzehn Jahre - in der Wüste?»
«Hier und anderswo, Madame», antwortete er etwas knapper als sonst, entschuldigte sich und verließ das Zelt.
Seufzend lehnte sich Diana in die Kissen zurück. Gaston mußte nicht befürchten, daß sie versuchen würde, ihm die Geheimnisse seines Herrn zu entlocken. So tief war sie noch nicht gesunken. Der Mann, dessen Weg den ihren so verhängnisvoll gekreuzt hatte, kam ihr mit jedem Tag geheimnisumwobener vor, obwohl sie ihn inzwischen doch besser hätte kennen müssen. Welche Macht übte er auf seinen treuergebenen wilden Stamm und den kleinen französischen Exkavalleristen aus? Sie runzelte verwundert die Stirn und dachte immer noch über das Rätsel nach, als er zurückkehrte. Gepflegt und tadellos gekleidet, ließ er sich nicht mehr mit dem zerrauften, blutbefleckten Barbaren vergleichen, den sie vor einer halben Stunde gesehen hatte. Sie sah ihn ängstlich an und erinnerte sich an ihre Wutausbrüche. Aber er zürnte ihr nicht. Seine Miene wirkte ernst, doch seine Gedanken galten offensichtlich nicht ihr. Bedächtig strich er über sein glattrasiertes Kinn. Diese Geste hatte sie oft bei Aubrey beobachtet. Abendländer und Morgenländer - die Männer waren wohl auf der ganzen Welt dieselben. Vergeblich wartete sie auf ein Wort des Scheichs. Er versank wieder in jenes tiefe Schweigen, an das sie sich bereits gewöhnt hatte. Manchmal beachtete er sie stundenlang nicht. Auch beim Abendessen blieb er stumm. Nur ein einziges Mal wandte er sich in arabischer Sprache an Gaston, und der Diener nickte.
Nachdem der Franzose hinausgegangen war, saß der Scheich in Gedanken versunken auf dem Diwan. Diana wanderte rastlos umher, betrachtete Gegenstände, die sie längst kannte, und blätterte in französischen Zeitschriften, die sie ein dutzendmal gelesen hatte. Normalerweise war sie dankbar für sein Schweigen. Doch an diesem Abend wünschte sie seltsamerweise, er würde mit ihr reden. Ein paarmal spähte sie über ihre Schulter und beobachtete ihn. Sein Rücken erschien ihr unnahbar. Aber als er nach ihr rief, bereute sie ihre Hoffnung, er würde mit ihr sprechen. Langsam ging sie zu ihm. Nach dem gräßlichen Erlebnis des Nachmittags war sie zu erschüttert, um den Kampf aufzunehmen. Welchen Sinn hatte es, fragte sie sich müde. Letzten Endes würde sie nur eine neue Niederlage erleiden. Er zog sie neben sich auf den Diwan, und ehe sie wußte, wie ihr geschah, streifte er ihr eine lange Jadekette über den Kopf. Verwirrt starrte sie das schöne Schmuckstück an, das sich aus gleichmäßigen kleinen Würfeln von erstaunlich reiner Farbe zusammensetzte. Dann riß sie sich die Kette mit einem Aufschrei vom Hals und schleuderte sie zu Boden. «Wie können Sie es wagen!»
Belustigt hob er die Brauen. «Mißfällt dir dieses Juwel?» fragte er ungerührt. «Immerhin paßt es zu deinem Kleid.» Seine Finger glitten über die grüne Seide, die sich an die jugendliche Wölbung ihres Busens schmiegte. Dann blickte er in eine geöffnete Schatulle voller schimmernder Steine, die neben ihm auf einem Schemel stand. «Für dich sind Perlen zu kalt, Diamanten zu banal. Du solltest nur Jade tragen, denn sie hebt den Sonnenuntergang deines Haars hervor wie der dunkle Abendhimmel.»Noch nie hatte er in diesem Ton mit ihr gesprochen, denn er war eher rauh als zärtlich. Sie warf einen raschen Blick auf sein Gesicht, das sie überraschte. In seinen Augen lag keine Liebe, nicht einmal Begierde, nur eine ungewöhnliche Sanftmut.
«Vielleicht würdest du Diamanten und Perlen vorziehen», fuhr er fort und zeigte abfällig auf das Kästchen.
«Nein, nein, ich hasse sie! All diese Juwelen hasse ich! Was immer Sie mir schenken, ich werde es nicht tragen. Und Sie haben kein Recht, mich wie ein billiges Flittchen zu behandeln!» schrie sie erbost.
«Gefällt dir der Schmuck nicht? Bon Dieu ! Keine andere Frau hat ihn jemals abgelehnt. Ganz im Gegenteil, sie konnten gar nicht genug davon kriegen», bemerkte er lachend.
Ihr Atem stockte. «Andere Frauen?» wiederholte sie verständnislos.
«Dachtest du etwa, du wärst die erste?» entgegnete er unverblümt. «Starr mich nicht so an! Sie waren nicht so wie du, denn sie kamen freiwillig zu
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