Der Scheich
Kampf konnte es nur einen Sieger geben: das Roß oder den Reiter, und der Scheich hatte nicht vor zu unterliegen. Er wollte dem ungezähmten Tier eine Lektion erteilen. Ahmed Ben Hassans wilde Entschlossenheit nahm es mit der zügellosen Wut des Tieres auf. Beim Anblick dieses Spektakels roher Kraft und Grausamkeit wurde Diana fast übel. Am liebsten hätte sie sich abgewandt, aber sie konnte den Blick nicht von der erbitterten Auseinandersetzung lösen. Das beklommene Schweigen der Zuschauer war einem aufgeregten Geschrei gewichen. Alle drängten vorwärts und wichen hastig zurück, wenn ihnen die immer noch wild um sich tretenden Hufe zu nahe kamen.
Am ganzen Leibe zitternd und mit geballten Fäusten starrte
Diana den Scheich an, der mit dem Pferd zu verschmelzen schien. Würde es niemals enden? Mittlerweile war es ihr gleichgültig, wer wen tötete. Sie wünschte nur noch, das furchtbare Gefecht würde aufhören. Wollte sich der Scheich als Held aufspielen? Mit schweißnassen Fingern umklammerte sie Gastons Arm. «Das ist grauenhaft!» stöhnte sie entsetzt.
«Es ist notwendig», erwiderte er in ruhigem Ton.
«Nein, für so etwas gibt es keine Rechtfertigung!» stieß sie hervor.
«Verzeihen Sie, Madame, das Fohlen muß Gehorsam lernen. Heute morgen hat es einen Mann abgeworfen, ihn niedergetrampelt und getötet.»
Diana schlug die Hände vors Gesicht. «Das ertrage ich nicht mehr.»
Ein paar Minuten später schnalzte Gaston mit der Zunge. «Schauen Sie, Madame, es ist vorbei», sagte er leise, und Diana blickte ängstlich auf.
Der Scheich hatte sich neben dem Fohlen aufgebaut, das schwankend, mit zuckenden Flanken und mit tiefgesenktem Kopf dastand. Aus seinem Maul quollen Blut und Schaum. Es taumelte ein paar Schritte und brach erschöpft zusammen. Während die übrigen Araber herbeirannten, eilte Gaston zu seinem Herrn, der die Menge überragte. Angewidert wandte sich Diana ab. Genügte es nicht, ein so grausames Schauspiel mit anzusehen? Mußten diese Barbaren ihren Anführer auch noch dafür bejubeln?
Langsam kehrte sie ins Zelt zurück. Sie war immer noch erschüttert und blieb unentschlossen neben dem Diwan stehen. Das Gefühl der Hilflosigkeit, das sie inzwischen so gut kannte, befiel sie heftiger denn je. Nirgends konnte sie Schutz vor diesem unbarmherzigen Mann suchen, keine Ruhepause wurde ihr vergönnt, Tag und Nacht mußte sie seine Gegenwart ertragen, ohne die geringste Hoffnung auf einen Ausweg. Verzweifelt schloß sie die Augen und öffnete sie sofort wieder, als seine Stimme vor dem Zelt erklang.
Er kam lachend herein, eine Zigarette in der blutbefleckten Hand. Mit der anderen wischte er sich den Schweiß von der Stirn, wobei er einen roten Streifen hinterließ. Diana wich vor ihm zurück und starrte ihn empört an. «Was für ein herzloser Teufel Sie sind!» fauchte sie. «Oh, wie ich Sie hasse!»
Sekundenlang verengten sich seine Augen, dann lachte er wieder. «Nur zu, ma belle , hasse mich - aber bitte von ganzem Herzen, weil ich jedes Mittelmaß verabscheue», erwiderte er leichthin und verschwand im Nebenraum.
Sie sank auf die Couch. Noch nie hatte sie sich so verzweifelt und so machtlos gefühlt. Zitternd starrte sie ins Leere und zupfte nervös an ihrem jadegrünen Seidenkleid. Wie gerne hätte sie einfach aufgehört zu fühlen, um nicht mehr leiden zu müssen. Als Gaston eintrat, musterte sie ihn vorwurfsvoll. Er billigte das Verhalten des Scheichs. Wäre er dazu imstande, hätte er selbst genauso gehandelt. Wie der Herr, so der Diener ...
«Ist der Reiter tot, der zuerst abgeworfen wurde?» fragte sie abrupt. In ihrer Stimme schwang der alte Hochmut mit.
«Oh, nein, Madame. Er hat nur eine Gehirnerschütterung davongetragen. Bald ist er wieder in Ordnung. Diese Araber haben harte Schädel.»
«Und Yusef?»
Gaston grinste. Bedauerlicherweise hat sich le petit Scheich das Schlüsselbein gebrochen. Nichts Schlimmes. Ein paar Ruhetage im Schöße seines Harem, et voilà !»
«Sein Harem?» wiederholte Diana verblüfft. «Ist er verheiratet?»
« Mais oui , Madame, er hat zwei Frauen.» Diana schnappte nach Luft, und er zuckte herablassend die Achseln. « Que voulez-vous ? Das entspricht nun einmal den Sitten dieses Landes», fügte er hinzu - ein Mann, der angesichts einer traurigen Tatsache gute Miene zum bösen Spiel machte.
Weil es ihr nicht ratsam erschien, die Sitten des Landes weiter zu erörtern, wechselte sie hastig das Thema. «Wo haben Sie denn reiten gelernt, Gaston?»
«In einem
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