Der Scheich
ausgehalten - und Diana lebte schon seit Monaten im Lager. Möglicherweise wären seine Gefühle für sie jetzt endlich erwacht, wenn dieser Franzose nicht eingetroffen wäre.
In einem kindischen Wutanfall schleuderte sie Saint Huberts Buch quer durch den Raum und vergrub ihren Kopf in den Armen. Sicher war er widerwärtig - ein eingebildeter Egoist mit süffisantem Grinsen! Sie kannte einige französische Schriftsteller, und sie verachtete diesen Mann, noch bevor sie ihm begegnet war. Zweifellos waren seine Bücher gut geschrieben. Um so schlimmer; das würde ihn in seiner Eitelkeit bestärken. In seinem Roman enthüllte sich ein leidenschaftliches Temperament, das die Situation zu komplizieren drohte, falls er ein Auge auf Diana werfen sollte. Allein schon bei diesem Gedanken erschauerte sie. Und offenbar würde sie ihm nicht aus dem Weg gehen können, denn der Scheich hatte keine gegenteiligen Anweisungen erteilt. Diesmal würde er anders verfahren als beim Besuch des Holländers und sich nicht wie ein typischer Araber benehmen, der seine Geliebte - sein Eigentum - unter Verschluß hielt.
Die aufgewühlten Gefühle, die Enttäuschung über den verweigerten gemeinsamen Ausritt, die Angst vor dem unerwarteten Besuch - dies alles belastete Diana so sehr, daß sie sich in eine fieberhafte, selbstquälerische Erregung hineinsteigerte. Schließlich schlief sie vor Erschöpfung ein. Zilah rüttelte sie mit schüchterner Hand wach und erinnerte sie ans Mittagessen. Stöhnend rieb sich Diana die Augen und hob den Kopf. Zuerst starrte sie das Mädchen verständnislos an, dann verscheuchte sie es mit einer herrischen Geste und vergrub das Gesicht wieder in einem Kissen. Wie sollte sie auch nur einen Bissen hinunterbringen, wenn ihr das Herz brach?
Aber Zilah - vom Stellvertreter ihres Herrn beauftragt, der im Nebenraum wartete und ihr gewaltigen Respekt einflößte - hielt mit sanfter Beharrlichkeit die Stellung, bis Diana sie wütend anschrie. In diesem Ton hatte sie noch nie mit der kleinen Dienerin gesprochen, die entsetzt die Flucht ergriff.
Mittlerweile hellwach, schwang Diana die Beine über die Bettkante. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt verbarg sie das erhitzte Gesicht in den Händen. Sie fühlte sich schwindlig, ihr Kopf schmerzte, und ihr Mund war staubtrocken. Mühsam stand sie auf, ging zum Toilettentisch und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie runzelte die Stirn. Noch nie war sie stolz auf ihre Schönheit gewesen, hatte sie einfach nur als eine unbedeutende Tatsache hingenommen. Und jetzt, da ihre Reize anscheinend nicht genügten, um die Liebe des Scheichs zu erringen, erschienen sie ihr fast hassenswert.
«Bist du krank oder nur schlecht gelaunt?» fragte sie und mußte trotz ihres Kummers über den Klang ihrer eigenen Stimme lachen. Sie eilte ins Bad und kühlte ihren Kopf mit kaltem Wasser.
Als sie ins Schlafgemach zurückkehrte, stellte eine verängstigte Zilah ein kleines Tablett auf den Messingtisch neben dem Bett. «Monsieur Gaston ...», stammelte sie, den Tränen nahe.
Diana musterte das Tablett, auf dem alles so penibel angeordnet war, wie der Kammerdiener es liebte. Dann streifte ihr Blick den Reisewecker, der daneben stand. Seit ihrer gewöhnlichen Essenszeit war bereits eine Stunde verstrichen, und plötzlich verspürte sie einen wahren Heißhunger. Sie entdeckte einen Zettel auf dem Tablett, griff danach und las Gastons klare, winzige Handschrift: «Wann wünschen Madame auszureiten?»
Offensichtlich hatte der Diener nicht vor, das Nachmittags-Programm kampflos abzusagen. Lächelnd schrieb sie eine Zahl auf das Papier und lief zu den Vorhängen, die die beiden Räume teilten. «Gaston!»
«Madame!»
Ohne ein weiteres Wort schob sie den Zettel zwischen den Vorhängen hindurch und widmete sich dann ihrer Mahlzeit. Nachdem sie Zilah mit leerem Tablett weggeschickt hatte, hob sie Vicomte de Saint Huberts Roman vom Boden auf und versuchte ihn unvoreingenommen zu lesen. Auf dem Vorsatzblatt stand, mit Bleistift geschrieben, die Widmung: Souvenir de Raoul . Eigentlich wies die Handschrift nicht auf einen Kleingeist hin.
Aber Handschriften besagen gar nichts, dachte sie eigensinnig. Aubrey, der personifizierte Egoismus, konnte wunderschön schreiben. Einmal hatte ihm ein Experte versichert, seine Handschrift verrate eine selbstlose Liebe zu allen Mitmenschen. Den Baronet hätte diese Behauptung keineswegs zu Begeisterungsstürmen hingerissen, und seine Schwester hätte Tränen gelacht.
Beim Weiterlesen
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