Der Scheich
Besuch kommt.»
«Ihr Freund?»
«Ja, bei Allah, der beste, den ich jemals hatte. Raoul de Saint Hubert.»
Sie warf einen Blick zum Bücherregal hinüber, und er nickte. «Kommt er hierher?» Ihre Stimme verriet, wie bestürzt sie war, und er hob ärgerlich die Brauen.
«Warum nicht?» erwiderte er hochmütig.
«Ach, nur so ...» Diana sank wieder in die Kissen zurück und hob das Magazin vom Boden auf. Für sie war die Ankunft eines Fremden, eines Europäers - ein Schock. Doch weil sie den Blick des Scheichs spürte, ließ sie sich ihre Gefühle nicht anmerken. «Wann möchten Sie ausreiten?» erkundigte sie sich gleichmütig, heuchelte ein Gähnen und blätterte in der Zeitschrift.
«Heute reite ich nicht mit dir aus. Ich treffe Saint Hubert. Vor einer Stunde gab mir sein Bote Bescheid. Nun habe ich meinen Freund schon zwei Jahre lang nicht gesehen.»
Diana stand auf und wanderte zum Zelteingang. Draußen warteten mehrere Männer, und der temperamentvolle Shaitan wehrte sich gegen die Reitknechte, die ihn festhielten. Unbehaglich musterte sie die flach angelegten Ohren des schönen, bösartigen Tieres und seine rollenden Augen. Hätte der Scheich es erlaubt, wäre sie furchtlos auf den Rücken des Fuchses gestiegen. Aber sie machte sich jedesmal Sorgen um ihn, wenn er die wilde Bestie selbst ritt. Niemand außer Ahmed Ben Hassan vermochte sie zu bändigen. Doch obwohl sie wußte, wie sicher er im Sattel saß, empfand sie ein Grauen, das der alten Diana fremd gewesen war, Und sie wünschte inständig, er würde an diesem Morgen ein anderes Pferd nehmen.
Langsam kehrte sie ins Zelt zurück. «Wenn ich den ganzen Tag hier drinbleibe, kriege ich Kopfschmerzen. Darf Gaston mit mir ausreiten?» bat sie zaghaft und schaute überallhin, nur nicht in Ahmed Ben Hassans Gesicht. Seit ihrem Fluchtversuch bestand er stets darauf, sie selbst zu begleiten. Wann immer sie vorsichtig andeutete, der Kammerdiener könne doch ebensogut mitkommen, schüttelte der Scheich entschieden den Kopf. Aber jetzt zögerte er, und sie fürchtete schon, er würde ihr den Wunsch erneut abschlagen. Flehend wandte sie sich ihm zu. «Oh, Monseigneur, bitte!» flüsterte sie.
Als er ihren Blick erwiderte, wirkte sein Kinn eigenwilliger denn je. «Willst du wieder durchbrennen?» fragte er unverblümt.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Um sie zu verbergen senkte sie hastig die Lider. «Nein.»
«Also gut, ich sage es ihm. Sicher wird er sich freuen, le bon Gaston. Obwohl du ihm einen so üblen Streich gespielt hast, ist er dein ergebener Sklave. Wie gütig er ist, le pauvre diable ! Er ist nun mal kein Araber, was, kleine Diane?» Nun funkelte wieder das spöttische Lächeln in seinen Augen. Gebieterisch legte er eine Hand in ihren Nacken und zwang sie, ihn anzusehen. Dann wurde er ernst. «Nimm das mit!» befahl er und reichte ihr den Revolver, den er soeben gereinigt hatte. «Ibraheim Omair hält sich immer noch in der Gegend auf.»
Verständnislos starrte sie ihn an. «Aber ...» stammelte sie.
Sofort erriet er ihre Gedanken und hauchte einen Kuß auf ihre Lippen. «Ich vertraue dir», entgegnete er leise und verließ das Zelt.
Den Revolver in der Hand, folgte sie ihm zum Ausgang, sah ihn aufsteigen und davonreiten. Wie immer saß er felsenfest und hoch aufgerichtet im Sattel. Mit glänzenden Augen beobachtete sie ihn. Nachdem er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, kehrte sie ins Zelt zurück und schob die Waffe in das Halfter, das auf einem Schemel lag.
Unter einem Arm den Revolver, in der anderen Hand Saint Huberts Roman, zog sie sich ins Schlafgemach zurück und rief Zilah zu sich, die ihr die Stiefel auszog. Dann sank sie aufs Bett, um den ganzen Vormittag zu faulenzen und sich mit Hilfe des Buchs ein Urteil über den Verfasser zu bilden.
Von vornherein haßte sie ihn - weil er zu Besuch kommen würde und weil sie eifersüchtig auf ihn war. Die unerwartete Zärtlichkeit des Scheichs hatte eine Hoffnung geweckt, der sie sich kaum hinzugeben wagte. Würde die Wirkung, die sie auf andere Männer ausübte, auch ihn fesseln, obwohl er sie monatelang nur körperlich begehrt hatte? Könnte er auch andere, edlere Gefühle entwickeln als diese lüsterne Begierde? War er trotz seiner orientalischen Herkunft zu tiefen, dauerhaften Gefühlen fähig?
Vielleicht hätte er sie inzwischen liebengelernt, wäre er nicht durch andere Ereignisse von ihrer gemeinsamen Vertrautheit abgelenkt worden. Mit ihren Vorgängerinnen hatte er es nur Tage oder Wochen
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