Der Scheich
der Gestalt in der Mitte.
Ibraheim Omair, der Räuberscheich, rekelte sich auf einem Kissenberg, einen verzierten Schemel mit einem Kaffeebecher neben sich. Hinter dem Diwan standen zwei weitere Neger, reglos wie Bronzestatuen, beide glichen dem Nubier, den Diana bereits kannte.
Eine Zeitlang verharrte sie im Eingang. Dann warf sie den Kopf in den Nacken, überquerte in stolzer Haltung die dicken
Teppiche und blieb vor dem Scheich stehen. Hochmütig sah sie in seine trägen, halbgeschlossenen Augen. In diesem Moment mußte sie ihren ganzen Mut zusammennehmen, und sie stand da, als hätte sie einen Stock verschluckt. Schmerzhaft gruben sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen, doch sie behielt die Hände in den Hosentaschen.
Wie schwer fiel es ihr, sich zusammenzunehmen! Am liebsten hätte sie geschrien, den Vorhang hinter Ibraheim Omair aufgerissen, der vermutlich ins Freie führte, und die Flucht ergriffen. Doch sie wußte, daß man sie nach wenigen Schritten einholen würde. Ihre einzige Chance lag in jener geheuchelten Kühnheit, die sie vor dem Zusammenbruch bewahrte. Obwohl ihr kalte Angst die Kehle zuschnürte, mußte sie einen furchtlosen Eindruck erwecken.
Durch gesenkte Wimpern, die ihre Gefühle verbargen, musterte sie den Räuberscheich. Dieser Araber entsprach dem Bild, das sie sich von seinem Volk gemacht hatte. Auf schmutzigen Kissen lag eine fette, schwerfällige Gestalt. Das gedunsene Gesicht zeigte lasterhafte Züge, volle sinnliche Lippen entblößten abgebrochene, dunkel verfärbte Zähne. In den tiefliegenden, blutunterlaufenen Augen glitzerte eine Gier, die Dianas Tapferkeit auf eine harte Probe stellte. Dieser teuflische Blick trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. Er trug ein schmuddeliges, zerknittertes Gewand, das einst kostbar gewesen sein mußte, und die Finger auf seinen Knien hatten schwarze Nägel. Während er Diana voller Genugtuung betrachtete, verzog sich der schlaffe Mund zu einem boshaften Lächeln. Er neigte sich ein wenig vor, stützte sich schwer auf die Schenkel und starrte ihr ins Gesicht. «Ah, die weiße Frau meines Bruders Ahmed Ben Hassan...» begann er langsam in miserablem Französisch. Als er den Namen seines Feindes aussprach, schien er Gift und Galle zu spucken. «Ahmed Ben Hassan! Möge er in der Hölle schmoren!» Verächtlich spuckte er auf den Boden. Dann lehnte er sich grunzend in die Kissen zurück und schlürfte geräuschvoll seinen Kaffee.
Diana schaute ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. Unter ihrem Blick fühlte er sich offenbar unbehaglich. Immer wieder glitten seine entzündeten Augen über ihren Körper, vom Scheitel bis zur Sohle. Fahrig tastete er nach dem geschwungenen Griff des Messers, das in seinem Gürtel steckte, dann beugte er sich wieder vor und bedeutete ihr, näher zu treten. Während sie noch zögerte, teilten sich die Vorhänge hinter ihr, und die Araberin kam herein. Geschickt wich sie dem Nubier aus, der sie aufhalten wollte, warf sich dem Scheich zu Füßen und umklammerte jammernd seine Knie. Nun verstand Diana, warum diese Frau sie haßte. Sie sah eine Rivalin in der weißen Gefangenen, mit der sie die Gunst des Herrn teilen sollte, und dagegen wehrte sie sich mit der ganzen wilden Eifersucht einer entmachteten Favoritin.
In Dianas Angst mischte sich Ekel. Sekundenlang senkte sie die Lider, um zu verbergen, was sie empfand. Als sie die Augen wieder öffnete, kauerte die Araberin immer noch vor Ibraheim Omair.
Er beobachtete sie voller Bosheit, dann schlug er ihr auf den Mund. Doch sie ließ sich nicht abschütteln. Verzweifelt krallte sie ihre Finger in sein Gewand. Blut quoll aus der aufgesprungenen Unterlippe, und sie heulte wie ein gemartertes Tier. Da packte er sie am Hals. Vergeblich versuchte sie, sich zu befreien. Er hielt sie eine Weile fest, ehe er das lange Messer aus seinem Gürtel zog und es der Unglücklichen in die Brust stieß. Ehe er sie losließ, wischte er den befleckten Dolch sorgsam an ihrem Kleid ab und steckte ihn wieder in den Gürtel. Erst dann schleuderte er die Leiche von sich, so daß sie über den Teppich direkt vor Dianas Stiefel rollte.
In der tiefen Stille, die den Raum erfüllte, hörte sie ein gedämpftes, rhythmisches Hämmern wie das Ticken einer großen Uhr. Ein dumpfes Staunen stieg in ihr auf, als sie ihre eigenen Herzschläge erkannte. Warum konnte sie sich nicht bewegen? War sie zu Stein erstarrt, gelähmt vom Grauen der letzten Minuten? Ihr Blick hing an der reglosen Gestalt vor ihren
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