Der Scheich
Füßen, an der klaffenden Wunde, aus der Blut sickerte, das dunkle Kleid der Araberin befleckte und langsam im Teppich versickerte. Sie war wie benommen, und seltsame Gedanken gingen ihr durch den Sinn. Schade um den schönen Teppich, dachte sie. Was mochte er in Biskra gekostet haben? Wahrscheinlich weniger als in London. Dann sah sie der Toten ins Gesicht und vergaß den Teppich. Der Mund war weit aufgerissen, das blutige Rinnsal trocknete. Aber es waren die schmerzvollen, vorquellenden Augen, die Diana jäh in die Wirklichkeit zurückholten. Nun wurde ihr bewußt, was geschehen war - und was ihr selbst drohte. Mühsam bekämpfte sie eine heftige Übelkeit und erwiderte Ibraheim Omairs Blick.
Über die Leiche hinweg starrte sie ihn an und lachte! Sonst hätte sie zu schreien angefangen. Schweißnaß klebten ihr die Locken an der Stirn, und sie fragte sich, ob sie die geballten Fäuste jemals wieder öffnen würde. Doch sie durfte ihre Angst nicht zeigen, weder weinen noch in Ohnmacht fallen, mußte sich zusammenreißen, bis Ahmed kam.
Oh, lieber Gott, schick ihn zu mir - schnell! betete sie. Ihr Gelächter nahm einen hysterischen Klang an, und sie biß sich auf die Lippen. Irgendwie mußte sie ihre Aufmerksamkeit von der grausigen Gestalt am Boden ablenken. Fast unbewußt zog sie das Zigarettenetui aus der Tasche, riß ihren Blick von der blutigen Leiche los, zündete sich eine Zigarette an und warf das immer noch brennende Streichholz zwischen die Füße des Nubiers, der neben ihr stand. Seit er die Araberin erfolglos aufzuhalten versucht hatte, rührte er sich nicht mehr. Und die beiden Neger hinter dem Kissenberg glichen immer noch dunklen Statuen. Hatten sie die Tragödie überhaupt wahrgenommen?
Als der Scheich nickte, traten sie vor und trugen die Tote hinaus. Einer der Neger kehrte wenig später zurück und servierte frischen Kaffee. Nun beugte sich Ibraheim Omair wieder vor, grinste Diana lüstern an und klopfte einladend neben sich auf die Kissen. Sie bezwang ihren Ekel, setzte sich und heuchelte kühle Gelassenheit.
In der Nähe des Mannes, der nach Schmutz und Schweiß und Pferdemist stank, wurde ihr wieder übel. Der typische stechende Geruch der Eingeborenen ... Wieder schweiften ihre Gedanken zu jenem anderen Araber, dessen Lebensgewohnheiten ihr so vertraut geworden waren - wenn auch nur notgedrungen. Nach allem, was sie über das Wüstenvolk gehört hatte, hatten sie seine peinliche Sauberkeit, die häufigen Bäder, die makellose Reinheit seiner Gewänder und der frische Duft seiner Rasierseife, die sich mit dem Aroma des türkischen Tabaks mischte, verblüfft.
Welch ein krasser Unterschied!
Als ihr der Räuberscheich einen Becher Kaffee anbot, schüttelte sie den Kopf und achtete nicht auf sein mißbilligendes Knurren. Was er sagte, verstand sie nicht, da er arabisch sprach. Sie legte den Zigarettenstummel beiseite und gewann beinahe den Eindruck, sie würde einen rettenden Anker loslassen. Immerhin hatte die Zigarette ihre Lippen vor einem verräterischen Zittern bewahrt. Dicke Finger umschlossen ihr Handgelenk, und Ibraheim Omair zog sie näher zu sich heran. «Wie viele Gewehre hat der Franzose dem Sohn der Finsternis gebracht?» stieß er hervor.
Verblüfft erwiderte sie den Blick seiner geröteten Augen, die sie halb drohend, halb bewundernd musterten, und schaute rasch wieder weg. «Das weiß ich nicht.»
Schmerzhaft gruben sich seine Finger in ihr Fleisch. «Wie viele Männer bewohnen das Lager, in dem Ahmed Ben Hassan Sie festgehalten hat?»
«Auch das weiß ich nicht.»
«Sie wissen es nicht! Sie wissen es nicht!» Plötzlich brach er in gellendes Gelächter aus. «Aber wenn ich mit Ihnen fertig bin, werden Sie's wissen.» Er drückte ihr Handgelenk zusammen, und sie stöhnte gequält. Rasch wandte sie sich ab, damit er ihr Gesicht nicht sah. Fragen über Fragen stürmten auf sie ein, alle galten Ahmed und seinem Stamm. Sie schwieg beharrlich, den Kopf zur Seite gedreht, die Lippen verkniffen. Von ihr würde er nichts erfahren, was dem geliebten Mann schaden könnte. Und wenn sie mit dem Leben für ihr Schweigen bezahlen mußte.
Unwillkürlich erschauderte sie. «Soll ich dir erklären, was sie mit ihm tun würden?» So deutlich wie in jener Nacht, als sie sich erkundigt hatte, welches Schicksal Gaston in Ibraheim Omairs Gewalt drohte, glaubte sie Ahmeds Stimme zu hören. Und sie dachte an die Bedeutung, die er in seine Worte gelegt hatte, an sein beängstigendes Lächeln.
Ihr Atem ging
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