Der Scheich
seine Hände, ein paar gräßliche Sekunden lang.
Dann wurde die Stille vor dem Zelt plötzlich von einem heftigen Aufruhr zerrissen, Gewehrschüsse krachten. Als das Feuer verstummte, erklang Ahmeds durchdringender Ruf. «Diane! Diane!»
Das Wissen, daß er nun endlich bei ihr war, gab ihr neue Kraft. Obwohl Ibraheim Omair ihre Arme umklammerte, bäumte sie sich auf und schrie: «Ahmed!» Der Räuberscheich hielt ihr den Mund zu. Aber als sie ihn in einen seiner dicken Finger biß, mußte er sie loslassen. «Ahmed! Ahmed!»
Offenbar vermochte ihre Stimme den Höllenlärm vor dem Zelt nicht zu übertönen, und sie konnte nicht weiterrufen. Denn Ibraheim Omair packte sie - so wie vorhin die bedauernswerte Frau - mit einem heiseren Wutschrei an der Kehle und zog sie hoch. Und auch Diana zerrte vergeblich an den Händen, die sie zu erdrosseln drohten. Ihre Kehle brannte, ihre Lungen schienen zu bersten. In ihren Ohren rauschte das Blut wie eine dröhnende Brandung, und ein Schleier vor ihren Augen verdunkelte den Raum. Ihre Hände wurden schlaff, und ihr wurden die Knie weich. Nur der Griff, der ihre Kehle umschloß, hielt sie aufrecht.
In ihren Ohren brauste es immer lauter, die Zeltwände verschwammen in der Dunkelheit. Fast gleichgültig ahnte sie, daß der Räuberscheich sie töten würde, und sie hörte seine Stimme wie aus weiter Ferne: «Sie brauchen in der Hölle nicht allzulange auf Ihren Liebhaber zu warten. Ich schicke ihn umgehend nach.»
Ihr schwanden die Sinne. Trotzdem hörte sie, wie die höhnische Stimme plötzlich verstummte. Der tödliche Druck an ihrem Hals lockerte sich. Dann umfaßten Ibraheim Omairs Hände ihre schmerzenden Schultern, er riß sie herum und suchte hinter ihr Deckung. Als sie mühsam den Kopf hob, wurde ihr wieder schwarz vor Augen. Durch einen Nebelschleier erblickte sie eine hochgewachsene, dunkle Gestalt im Eingang.
Während draußen der Lärm tobte, war es im Zelt merkwürdig still. Halb benommen fragte sich Diana, warum Ahmed nichts unternahm, warum er den Revolver in seiner Hand nicht abfeuerte.
Und dann erkannte sie, daß er nicht zu schießen wagte, weil der Räuberscheich sie wie einen lebenden Schild vor seinen Körper hielt. Er wußte genau, daß Ahmed Ben Hassan, der sonst ein ausgezeichneter Schütze war, nie riskieren würde, Diana zu treffen. Hinter seine Geisel geduckt, wich Ibraheim Omair langsam zurück. Offenbar wollte er sich in den Nebenraum flüchten. Allerdings hatte er in seinem Entsetzen über die unerwartete Ankunft seines Feindes den Diwan vergessen und stieß dagegen. Obwohl er nur kurz das Gleichgewicht verlor, nutzte Ahmed sofort die Gelegenheit.
Die kalte Revolvermündung preßte sich an die Stirn des Räuberscheichs, so daß er Diana loslassen mußte. Entkräftet sank sie auf den Teppich. Sie griff sich an die schmerzende Kehle und rang stöhnend nach Atem. Die beiden Männer starrten einander an. Ibraheim Omair wußte, daß er dem Tod ins Auge blickte. Mit der Schicksalsergebenheit eines gläubigen Mohammedaners fügte er sich in sein Los, als Ahmed die linke Hand hob, gnadenlos lächelte und ihn am Hals packte. Ein Schuß hätte den Elenden schneller getötet. Doch Ibraheim sollte den qualvollen Tod sterben, den er Diana zugedacht hatte.
Ahmeds Grausamkeit gewann die Oberhand. Nicht nur der Anblick des kläglich keuchenden Mädchens am Boden schürte seinen Rachedurst, sondern auch die Erinnerung an sechs verstümmelte Männer - treue Anhänger, die mit ihm aufgewachsen waren, seiner Leibwache angehört und ihm stets in unwandelbarem Gehorsam gedient hatten.
Außerdem waren sie nicht die einzigen, die im Laufe der Zeit dem Haß des Räuberscheichs zum Opfer gefallen waren. Endlich hatte Ahmed den Schurken, der die Verantwortung dafür trug, in seiner Gewalt - den Mann, dessen bloße Existenz eine einzige Bedrohung und Beleidigung war.
Schon als Kind hatte Ahmed von seinem Vater gelernt, vor Ibraheim Omairs Tücke auf der Hut zu sein. Noch auf dem Totenbett hatte er ihn damit beauftragt, die Stammesfehde weiterzutragen und den Erzfeind zu vernichten. Aber der Wunsch, den Widersacher mit bloßen Händen zu töten, entsprang weniger dem vor fünf Jahren abgelegten Schwur, den alten Haßgefühlen oder dem Gedanken an die ermordete Leibwache. Nein, er empfand einen unbändigen Zorn auf den Peiniger der geliebten Frau. Das Wissen um ihre Qualen hatte ihn durch die Nacht vorwärtsgetrieben, der Anblick ihrer Hilflosigkeit wilde Rachegelüste geweckt, die
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