Der Scheich
reichte nicht aus, um dem Vicomte noch einmal diese Frage zu stellen. Und sein Achselzucken, mit dem er Henris hochgezogene Brauen beantwortete, brachte Diana vollends zum Schweigen.
Voller Sorge betrachtete sie das reglose Gesicht. Erst vor wenigen Stunden war Ahmed ihr im Vollbesitz seiner Kräfte zu Hilfe gekommen. Nun lag er so schrecklich still da. Sie konnte nicht weinen. Unentwegt pochte und schmerzte ihre Kehle. Sie beugte sich vor, flüsterte seinen Namen und empfand den plötzlichen Wunsch, sich zu vergewissern, daß er noch lebte. Verstohlen warf sie einen Blick über die Schulter und hielt nach Saint Hubert Ausschau. Aber er stand draußen unter der Markise und sprach mit Yusef. Da neigte sie sich tiefer zu dem Bewußtlosen hinab. Sein Mund war leicht geöffnet, sein entspanntes Gesicht zeigte nicht den gewohnten strengen Ausdruck.
«Oh, Ahmed - mein Liebster!» hauchte sie und küßte ihn mit bebenden Lippen. Dann schmiegte sie die Stirn neben seinem verbundenen Kopf ins Kissen. Aber als der Vicomte zurückkehrte, kniete sie wieder neben dem Diwan wie zuvor, hielt eine Hand des Scheichs fest und verbarg ihr Gesicht in der seidenen Decke.
«Bitte, Diana ...» Saint Hubert berührte sie an der Schulter. «Quälen Sie sich nicht unnötig! Vorerst können wir nichts für ihn tun. Versuchen Sie, eine Weile zu schlafen. Wenn Sie hierbleiben, helfen Sie ihm nicht. Henri und ich werden bei ihm wachen, und sobald sich sein Zustand ändert, rufe ich Sie. Ehrenwort!»
Ohne aufzublicken, entgegnete sie: «Ich kann ihn nicht verlassen. Und ich würde ohnehin keinen Schlaf finden.»
Da bedrängte er sie nicht länger. «Also gut. Aber wenn Sie hier ausharren wollen, müssen Sie Ihre Reitstiefel ablegen und was Bequemeres anziehen.»
Da dieser Vorschlag vernünftig klang, gehorchte sie wortlos. Sie fühlte sich sogar erleichtert, nachdem sie sich den schmerzenden Kopf und den Hals gekühlt und den zerrissenen, schmutzigen Reitanzug mit einem dünnen seidenen Morgenrock vertauscht hatte.
Als sie in den Wohnraum zurückkehrte, schenkte Henri Kaffee ein, und Saint Hubert hielt ihr eine Tasse hin. «Bitte, trinken Sie das, es wird Ihnen guttun.» Er lächelte leicht, doch seine Augen blieben ernst.
Hastig leerte sie die Tasse und kniete sich wieder vor den Diwan. Ahmed lag genauso da wie vorhin. Eine Zeitlang betrachtete sie ihn, dann fielen ihr die Augen zu, ihr Kopf sank in die Kissen. Gleichzeitig wehmütig und zufrieden seufzte Saint Hubert, hob sie hoch und trug sie ins Schlafgemach.
Ehe er sie aufs Bett legte, hielt er zögernd inne. Ein einziger Augenblick in seinem ganzen Leben mochte ihm doch wohl gestattet sein. Nie wieder würde ihm das qualvolle Glück vergönnt sein, sie in seinen Armen zu halten und sie an sein Herz zu drücken, das sich schon seit dem gestrigen Tag verzweifelt nach ihr sehnte. Voller Verlangen betrachtete er das bleiche Gesicht, und seine Augen verengten sich beim Anblick der Würgemale an ihrem zarten weißen Hals.
Endlich lernte er die Liebe kennen, die er sein Leben lang erträumt und in vielen Ländern vergeblich gesucht hatte. Zu spät. Für ihn war die hilflose Schönheit in seinen Armen nicht bestimmt. Sie liebte Ahmed, der so lange gebraucht hatte, dieses kostbare Geschenk zu würdigen. Deshalb mußte Saint Hubert den Freund dem grimmigen Sensenmann entreißen, der drüben neben dem Diwan lauerte. Sonst würde das freudige Leuchten in ihren schönen Augen für immer erlöschen. Und doch - während er sie kummervoll und verzweifelt ansah, hörte er den Dämon der Versuchung flüstern.
Wie kein anderer kannte er seinen Freund. Welches Glück durfte eine Frau an der Seite Ahmed Ben Hassans erwarten, wenn sie seinem wilden Wesen und seinen jähen Stimmungsschwankungen ausgeliefert war? Vielleicht würde die plötzlich entflammte Liebe - entfacht von der Angst, er könnte Diana verlieren - genauso schnell verglühen, sobald er sie wieder besaß. Was er errungen hatte, war ihm stets wertlos erschienen. Wenn ihm etwas erst einmal gehörte, interessierte es ihn nicht mehr.
Würde es dieser armen jungen Frau genauso ergehen, die ihre übergroße Liebe zu Füßen des Mannes legte, der sie so mitleidlos behandelt hatte? Ihre Aussichten auf eine glückliche Zukunft waren sehr gering. Denn nachdem Ahmed genesen war, würde er sich so grausam und unbarmherzig verhalten wie eh und je. Von seinem leidenschaftlichen französischen Temperament und seiner Liebe getrieben, wünschte sich Saint Hubert
Weitere Kostenlose Bücher