Der Scheich
den Kopf zur Seite. Immer noch leicht verwirrt, schaute sie auf die Uhr. Das leise Glöckchen ertönte siebenmal.
Von plötzlichen Erinnerungen bestürmt, sprang Diana aus dem Bett. Seit sie den Kaffee getrunken hatte, waren über zwölf Stunden verstrichen. Nun erriet sie, warum Raoul ihr das Getränk aufgenötigt hatte, und sie versuchte, ihm dankbar zu sein. Aber das mißlang ihr angesichts der bangen Frage, was während ihres langen Schlafs geschehen war. In fieberhafter Hast zog sie sich an und eilte nach nebenan.
Dort standen mehrere Araber, die sie zum Teil nicht kannte. Vermutlich gehörten sie zum Verstärkungstrupp, den Ahmed Ben Hassan angefordert hatte. Zwei Männer, dem Aussehen nach untergeordnete Scheichs, sprachen leise mit Saint Hubert, der völlig erschöpft wirkte. Schweigend umringten die anderen den Diwan und musterten ihren bewußtlosen Anführer. Die Unrast und der Fieberwahn am Morgen waren einem totenähnlichen Tiefschlaf gewichen. Dicht neben ihm stand Yusef. Sein prahlerisches Selbstvertrauen hatte sich in dumpfe Niedergeschlagenheit verwandelt, und seine Augen, unverwandt auf Ahmeds Gesicht gerichtet, erinnerten an einen geprügelten Hund. Allmählich leerte sich das Zelt, bis nur der junge Leutnant zurückblieb. Auch er trat widerstrebend unter die Markise und wechselte einige Worte mit dem Vicomte, der die beiden Anführer hinausbegleitet hatte.
Nach einer Weile kehrte Saint Hubert zurück, holte einen Sessel für Diana und drückte sie mit sanfter Gewalt hinein. «Setzen Sie sich!» sagte er fast mürrisch. «Sie sehen wie ein Gespenst aus.»
Vorwurfsvoll starrte sie ihn an. «Sie haben mir etwas in den Kaffee geschüttet, Raoul. Glauben Sie, ich würde es Ihnen je verzeihen, wenn er gestorben wäre, während ich schlief?»
«Mein liebes Kind», entgegnete er in ernstem Ton, «Sie wissen nicht, wie nahe Sie einem Zusammenbruch waren. Hätte ich Sie nicht gezwungen zu schlafen, müßte ich nun drei Patienten versorgen anstatt zwei.»
«Gewiß, ich bin undankbar», flüsterte sie mit einem tapferen Lächeln.
Saint Hubert rückte einen Stuhl für sich selbst heran und ließ sich müde darauf nieder. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte er unter ungeheurer Anspannung gestanden. Und nun fürchtete er, seine ärztliche Kunst würde nicht ausreichen, um das Leben des Freundes zu retten. Neben dieser Angst und der körperlichen Erschöpfung hatte er den ganzen Tag einen harten Kampf mit sich selbst ausgefochten, um seine Eifersucht zu bezähmen und seine Liebe tief in seinem Herzen zu verschließen
- einen kostbaren Schatz, den er für immer verbergen mußte. Seine treue Zuneigung zu Ahmed hatte die schwerste aller Prüfungen bestanden und war erneuert und gestärkt daraus hervorgegangen. Die Bitterkeit war verflogen, und der Wunsch, Diana glücklich zu sehen, verdrängte alle anderen Gefühle. Immerhin blieb ihm ein Trost - sie würde seine Hilfe und sein Mitleid brauchen, und das erfüllte ihn mit Dankbarkeit.
Über den Diwan hinweg blickte er sie an und stellte bedrückt fest, wie sehr sie sich in den letzten Stunden verändert hatte. Ihre jungenhafte Lebendigkeit war verschwunden. Ermattet und zusammengesunken kauerte ihre schlanke Gestalt in dem großen Sessel, dem bleichen Gesicht war das Leid deutlich anzusehen, und der Kummer in ihren großen Augen wirkte eindeutig weiblich. Aber wenn er die Verwandlung auch bedauerte - er wünschte fast, sie wäre endgültig zusammengebrochen, denn diese eiserne Selbstbeherrschung erschien ihm unnatürlich. Diana stellte keine Fragen und vergoß keine Tränen. Beides hätte er leichter ertragen als das stumme Elend, und er fürchtete die Folgen der unterdrückten Gefühle.
Tiefe Stille lastete im Raum. Etwas später trat Henri ein. Diana hob mühsam den Kopf und erkundigte sich nach Gastons Befinden, dann versank sie wieder in ihrem Schweigen und beobachtete Ahmeds Schlaf. Einmal stieß sie einen zitternden Seufzer aus, der dem Vicomte fast das Herz brach. Er stand auf, beugte sich über den Scheich und fühlte ihm den Puls.
Sobald er die schlaffen Finger auf die Decke zurückgelegt hatte, griff Diana danach. «Für einen Araber hat er sehr große Hände», meinte sie und schien unbewußt einen Gedanken auszusprechen.
«Er ist kein Araber», entgegnete Saint Hubert in plötzlicher Ungeduld, «sondern Engländer.»
Verwirrt blickte sie auf. «Das - verstehe ich nicht», stammelte sie. «Dabei haßt er doch alle Engländer...»
« Quand même , er
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