Der Scheich
Beherrschung verlor. Sie nahm meinem Vater und dem Scheich das Versprechen ab, den Earl erst dann von der Existenz seines Sohnes in Kenntnis zu setzen, wenn dieser volljährig war. Dann schrieb sie ihrem Mann einen Brief und vertraute ihn meinem Vater an. Außerdem übergab sie ihm ihren Ehering, der auf der Innenseite eine Inschrift trug, und ein Medaillon mit einer Miniatur des Lords. Beides hatte sie nie abgelegt, damit niemand das Bild und den Namen zu Gesicht bekam. Inständig bat sie den Scheich um Verzeihung, weil sie ihm soviel Kummer bereitet und verschwiegen hatte, daß sie nicht ledig war. Sie liebte ihren Mann bis zum Ende und hielt ihm die Treue. Aber in den letzten Tagen schien Ahmeds Ergebenheit ihr Herz zu berühren. Sie war glücklich, wenn er bei ihr saß, und sie starb in seinen Armen, seine Küsse auf den Lippen.
Da sie ihren Sohn in seine Obhut gegeben hatte, adoptierte er ihn und setzte ihn zu seinem Erben ein. So erhielt der jetzige Ahmed Ben Hassan den Namen, den die Herrscher dieses Stammes seit Generationen tragen. Das Wort des Scheichs war Gesetz, und niemand begehrte gegen seinen Wunsch auf. Außerdem hielt man den Kleinen für ein Glückskind und freute sich, als Hassan ihn zu seinem Nachfolger bestimmte. Die ganze leidenschaftliche Liebe, die er der Mutter geschenkt hatte, übertrug er nun auf den Sohn. Er betete ihn an, und während der Junge heranwuchs, hielt er Ahmed für seinen Vater. Wegen seines maurischen Bluts und des Wüstenlebens sah er wie ein echter Araber aus. Nach seinem fünfzehnten Geburtstag veranlaßte mein Vater seinen Freund, den Knaben auf eine Pariser Schule zu schicken, und weil der Scheich viel von Europa hielt, erklärte er sich einverstanden. Allerdings fiel ihm die Trennung von seinem geliebten Adoptivsohn sehr schwer, und der Abschied kostete ihn einige Überwindung. Damals, mit achtzehn, hatte ich soeben meine militärische Ausbildung begonnen. Mein Regiment war in Paris stationiert, wo auch mein Vater lebte, und ich verbrachte einen Großteil meiner Zeit zu Hause. Dort wohnte Ahmed, und so lernte ich ihn kennen. Was für ein hübscher, lebhafter Junge! In der Wüste werden junge Burschen viel früher erwachsen. In mancher Hinsicht wirkte er älter als ich, obwohl er drei Jahre jünger ist. Selbstverständlich war er in anderen Belangen noch ein Kind. Er besaß ein ungezügeltes Temperament und wehrte sich gegen alle Einschränkungen, die seinem natürlichen Freiheitsdrang auferlegt wurden. Genauso haßte er das Leben in der Großstadt. Bis jetzt hatte er stets seinen Willen durchgesetzt. An die unterwürfige Liebe des Araberstamms gewöhnt, war er nur bereit, dem Scheich zu gehorchen - und sonst keinem. Nun brachen stürmische Zeiten an, und ich bewunderte meinen Vater, der es immer wieder schaffte, den jungen Wilden zu zähmen. Ahmed mutete ihm nervenaufreibende Eskapaden zu, und seine Wirkung auf die Damen brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten. Nur die Drohung, man würde ihn in Schimpf und Schande nach Algerien zurückschicken, konnte ihn bändigen. Er versprach, sich zu bessern, und um sein Mütchen zu kühlen, galoppierte er auf den Pferden meines Vaters durch den Bois de Bologne - bis er wieder über die Stränge schlug. Aber trotz seiner diableries war er liebenswert, und jeder mochte ihn.
Nachdem Ahmed ein Jahr bei uns in Paris zugebracht hatte, schickte mein Vater ihn - mit Rücksicht auf seine wahre Herkunft - zu einem Lehrer nach England, der auch mich unterrichtet hatte. Dieser hervorragende Schulmeister war an den Umgang mit schwierigen jungen Männern gewöhnt, und Ahmed machte gute Fortschritte bei ihm. Nicht, daß er allzu eifrig gearbeitet hätte - diesen Pflichten entzog er sich, indem er möglichst oft auf die Jagd ging. Es gab nur ein einziges Fachgebiet, das er ernsthaft studierte, nämlich die Veterinärmedizin, weil er wußte, daß sie ihm später bei der Pferdezucht nützen würde. Und sein Lehrer war klug genug, um ihn darin zu ermutigen. Zwei Jahre später kam Ahmed wieder zu uns nach Paris. Soeben war er aus der Wüste zurückgekehrt, wo er alle seine Sommerferien verbrachte. Mit jedem Mal ließ der Scheich ihn noch widerwilliger ziehen. Er fürchtete stets, die Zivilisation würde den Adoptivsohn zu sehr verlocken, vor allem, als er älter wurde. Aber obwohl sich der wilde Wüstenbewohner seit seinem ersten Aufenthalt bei uns sehr verändert hatte, blieb er im Herzen stets ein Araber. Inzwischen hatte er sich zu einem Mann
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