Der Scherbensammler
passte in das Schloss der Haustür, der andere war für den Briefkasten gedacht, dessen Schlitz mit Paketband zugeklebt war. Ich hatte erwartet, dass die Tür rostig quietschen und ächzen würde, doch sie ging vollkommen geräuschlos auf.
Wir trugen unser Gepäck hinein. Ben schloss die Haustür von innen ab und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Dann öffnete er die Fensterläden.
Das Haus war mit einem Wohnzimmer, einer Küche, zwei Schlafzimmern und einem kleinen Bad ausgestattet. Wenn man die steile Holztreppe hinaufstieg, gelangte man in einen weiteren, sehr großen Raum, direkt unterm Dach.
Er war bezaubernd, die schrägen Wände mit elfenbeinfarbenem Holz verkleidet. Aus dem breiten Fenster, das bis zum Giebel reichte, schaute man über die Kronen herbstlich ausgedünnter Birken bis zum Horizont.
Die Möbel waren mit Bettlaken verhängt. Es roch muffig. Es war staubig. Und es war kalt.
Merle fing an, die Möbel von den Laken zu befreien. Mina machte sich mit den Öfen vertraut. In einem Drahtkorb im Wohnraum befand sich noch Brennholz.
»Wahrscheinlich gibt es irgendwo einen Holzvorrat«, sagte Ben. »Und Kohle. Kein Mensch heizt ausschließlich mit Holz.«
Ich hatte mich in der schmalen Küche umgesehen, die direkt an den Wohnraum grenzte und nur durch eine Theke von ihm getrennt war. Keine Vorräte, natürlich nicht. Das Geschirr hatte schon bessere Zeiten erlebt. Kaum eine Tasse passte zur anderen. Das Besteck war zusammengesucht. Die Tischdecken und Trockentücher, die ich in einer Schublade fand, waren fadenscheinig und klamm.
Ben nahm Merle mit nach draußen, um den Wagen hinter dem Haus zu parken. Obwohl er dort vor neugierigen Blicken geschützt war, deckte er ihn zusätzlich mit einer Plane ab, die er im Schuppen aufgestöbert hatte. Ich beobachtete das durchs Wohnzimmerfenster, während Mina hinter mir ein Feuer im Ofen zu entfachen versuchte.
»Brauchst du Hilfe?«
»Das Papier, die Streichhölzer, es ist alles feucht.«
Ich hatte in der Küche ein Feuerzeug entdeckt. Das holte ich und gab es ihr.
»Danke.«
Sie hielt es an das zusammengeknüllte Zeitungspapier, auf dem sie einen kleinen Scheiterhaufen aus Brennholz errichtet hatte. Als nach mehreren Anläufen endlich eine schmale Flamme über das Papier züngelte und eine dünne Rauchfahne aufstieg, klatschte sie vor Freude in die Hände.
Schließlich brannte das Holz lichterloh und Mina öffnete die Glastür und legte vorsichtig ein kräftiges Holzscheit auf. Sie blickte mit großen Augen ins Feuer.
»Sei vorsichtig«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Bitte, Jette. Pass auf!«
»Du hast was?« Isa starrte ihn an, als hätte sie gerade Abgründe in seiner Seele erblickt. »Mit einer Scheckkarte? Wie willst du das dem Alten erklären?«
»Muss er das denn wissen?«
Sie hatte schöne Augen. Das war ihm vorher nicht aufgefallen. Sie drückten Verständnis aus und Mitgefühl. Beides konnte Bert gut brauchen.
»Und nun?«
»Ich werde an den Orten suchen, an denen ich am ehesten eine Antwort finde - da wäre das St. Marien, wo Jette arbeitet, das Tierheim, in dem Merle jobbt, und dann werde ich Marlene Kronmeyer befragen und Ben, diesen Jungen, der bei ihr lebt. Vielleicht wissen die ja etwas.«
»Oder die Eltern von Jette und Merle.«
»Das sind immer die schwersten Wege.«
»Wenn ich dir irgendwie helfen kann?« Isa hielt ihm eine knisternde Tüte hin.
»Lebkuchen? Jetzt schon? Der Herbst hat doch gerade erst angefangen.«
»Ich weiß.«
Zerknirscht zog Isa einen Lebkuchen heraus.
»Ich bin süchtig nach all diesen Weihnachtsgewürzen. Reib mir ein bisschen Zimt unter die Nase und ich zerfließe vor Wonne.«
Andächtig biss sie hinein und schloss beim Kauen die Augen.
»Ich werde auf dein Angebot zurückkommen«, sagte Bert und stand auf. »Falls es einen Täter geben sollte …«
»… machen wir uns Gedanken zu einem Täterprofil.« Sie klaubte einen Krümel aus dem Mundwinkel. »Jederzeit. Sag mir einfach Bescheid, wenn du so weit bist.«
Zehn Minuten später saß Bert im Auto und gab die Adresse des St. Marien in das mobile Navigationssystem ein, das er sich vor Kurzem zugelegt hatte. Staus blieben ihm diesmal erspart, und er war dankbar dafür, wenn er auch nicht verstand, warum an manchen Tagen sämtliche Straßen verstopft waren, während an anderen die Fahrt ohne den geringsten Engpass ablief. Er kam schneller voran, als er gehofft hatte, und da das Navigationssystem ihn
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