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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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stellen.«
    Jetzt galt das Lächeln Bert. Es war freundlich und warm und erzeugte ein Geflecht kleiner Runzeln auf ihrer Haut.
    »Darf ich?« Bert wies auf den freien Platz.
    Sie rutschte ein Stück zur Seite und legte das Album auf ihren Schoß.
    »Wollen Sie Fotos angucken?«
    Bert setzte sich und sie schlug das Album auf. Wortlos blätterte sie um. Das schützende Transparentpapier zwischen den einzelnen Seiten knisterte trocken. Es hatte Eselsohren und Risse und war knittrig und vergilbt.
    »Haben Sie Jette die Bilder auch schon gezeigt?«, fragte Bert.
    »Jette …«
    Ihr Lächeln veränderte sich, wurde tief und leuchtend.
    Menschen. Häuser. Gärten. Feste.
    Der erste Schultag. Das erste Auto. Christbäume mit Engelshaar.
    »Wann haben Sie zuletzt mit Jette gesprochen?«, probierte Bert es noch einmal.
    Geburtstagstorten. Luftschlangen. Eine Hochzeitskutsche.
    »Ich habe von Jette geträumt.«
    Behutsam klappte Frau Sternberg das Album zu.
    »Es war stockfinster. Und überall raschelte die Nacht. Aber Jette war bei mir. Und da hatte ich keine Angst.«
    Bert schluckte die Enttäuschung hinunter. Die alte Dame war verwirrt. Es hatte keinen Sinn, sie mit weiteren Fragen zu belästigen.
    »Danke, dass Sie mir Ihr Album gezeigt haben«, sagte er.
    Sie gab ihm die Hand. Ihre Finger fühlten sich kühl an und rau.
    »Auf Wiedersehen, Frau Sternberg.«
    Wieder lächelte sie. Ihre Augen waren aufmerksam und klar.
     
    Ben hatte keinen Plan. Er wusste nicht, was die nächste Stunde bringen würde. Das machte ihn verrückt. Der Schlafmangel griff seine Nerven an. Er war so überreizt, dass seine Haut bei der geringsten Berührung schmerzte.
    Es verwirrte ihn, dass Mina plötzlich so vorbehaltlos auf seiner Seite stand. Wie passte das zu der kalten Überheblichkeit, mit der sie seine Liebe zurückgewiesen und ihn zu dem hier getrieben hatte?
    Sie saßen im Wohnzimmer und froren. Es gab drei Öfen im Haus und in allen brannte ein Feuer, doch sie würden noch eine Weile brauchen, um die ausgekühlten Räume zu erwärmen.
    Schon lange war kein Wort mehr gefallen. Nur die Geräusche des Feuers waren zu hören. Ben merkte, wie ihm die Augen schwer wurden. Er riss den Kopf hoch, der ihm auf die Brust sinken wollte. Aufstehen, dachte er. Rumlaufen.
    Du darfst nicht schlafen.
    Darauf lauerten sie nämlich, Jette und Merle. Darauf, dass  er einschlief und wehrlos war. Er gab sich einen Ruck. Da konnten sie lange warten.
    Er wanderte im Zimmer auf und ab. Versuchte nachzudenken. Aber er war zu erschöpft. Er brauchte Ruhe. Ein paar Stunden Schlaf. Oder wenigstens einige Minuten.
    Doch vorher musste er die Mädchen trennen. Er hatte sich die Türschlösser angeschaut. Sie waren in Ordnung. Die Schlüssel steckten. Er könnte die Mädchen also einschließen. Aber wie konnte er verhindern, dass sie durchs Fenster flohen?
    Lass dir was einfallen, dachte er. Damit hast du doch sonst keine Probleme.
    Mina stand auf, um ein Holzscheit nachzulegen. Erst jetzt wurde Ben so richtig bewusst, wie sehr sie ihm gefehlt hatte in den vergangenen Wochen. Wie leer die Tage gewesen waren ohne sie. Er konnte sich nicht sattsehen an ihr, konnte nicht genug kriegen von ihrer Nähe, ihrer Stimme, ihrem Duft.
    Wenn er ihr nur vertrauen könnte! So wie früher.
    Aber das Damals gab es nicht mehr. Sie mussten ganz von vorn anfangen.
    Auf der Fahrt hatte er Kopfschmerzen bekommen. Sie hatten sich hinter der Stirn festgesetzt und strahlten bis in die Augen aus. Ihm war auch übel. Dabei konnte er sich nicht einen Moment der Schwäche leisten.
    Nicht einschlafen, hämmerte es in seinen Schläfen. Nicht die Kontrolle verlieren.
    Er beschloss, sich nicht mehr hinzusetzen. So lange nicht, bis er wusste, wie er das Problem der Müdigkeit lösen könnte.
     
    Tilo hatte es ihr so behutsam wie möglich mitgeteilt, aber wie konnte man einer Mutter schonend beibringen, dass ihr Kind verschwunden war? Imke hatte keine der Reaktionen  gezeigt, auf die er gefasst gewesen war. Wortlos war sie auf ihren Schreibtischstuhl gesunken und hatte aus dem Fenster gestarrt. Seitdem hatte sie sich nicht bewegt.
    Er hatte ein paarmal versucht, sie zum Reden zu bringen, aber sie hörte ihn nicht. Unter dem heftigen Schock hatte sie sich in sich selbst verkrochen. Den Computer hatte sie heruntergefahren. Der schwarze Bildschirm spiegelte ihr Gesicht, schmal, blass und voller Angst.
    Nach einer Stunde etwa hatte Tilo diesen Zustand nicht mehr ausgehalten und die Nummer der Kronmeyers
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