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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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du Tilo kennst«, sagte sie aufs Geratewohl.
    Keine Reaktion.
    »Ich mag ihn sehr«, wagte sie sich weiter vor. »Jette auch.  Er ist der Freund ihrer Mutter. Aber das weißt du ja wohl, sonst hättest du nicht in ihrem Garten auf ihn gewartet.«
    Keine Reaktion.
    »Nicht viele Leute wissen, dass er meistens in der alten Mühle übernachtet.«
    Das Summen hörte auf. Merle hielt die Luft an.
    »Aber Mina weiß das. Mina is schlau.«
    »Das stimmt. Und wie!«
    Mina wischte sich die Tränen ab. Sie lächelte. Ihr Blick kehrte vorsichtig zu Merle zurück.
    »Kennst du Tilo schon lange?«, fragte Merle.
    »Schon ganz, ganz lange. Tilo is mein Freund.«
    »Ich kann ihn anrufen, wenn du willst.« Merle zeigte zur Tür. »Ich brauche nur mein Handy zu holen.«
    Ein Ruck ging durch Minas Körper, dann rappelte sie sich auf und streckte den Rücken.
    »Worauf wartest du noch?« Sie sah ärgerlich auf Merle hinunter. »Ich hab schon viel zu viel Zeit hier verplempert.«
     
    Bert Melzig betrachtete das Durcheinander auf seinem Schreibtisch. An das Durcheinander in seinem Kopf rührte er besser nicht. Das Älterwerden, dachte er oft, merkte man am deutlichsten an den kleinen Dingen. An gelegentlichen Wortfindungsschwierigkeiten, an einer zunehmenden Dünnhäutigkeit und daran, dass der Kopf Informationen nicht mehr so einfach speicherte oder sortierte.
    Er hatte sich Hilfskonstruktionen gebastelt, um damit zurechtzukommen. Eine davon war seine riesige Pinnwand. Einen Augenblick lang genoss er es noch zu sehen, dass sie fast leer war, dann stand er auf und heftete das erste Puzzleteil des neuen Falls an: ein Foto der Leiche. Daneben befestigte er einige Zeitungsfotos - Dietmar Kronmeyer, der lächelnd  in die Kamera blickte, die alte Fabrik, dunkel und abweisend vor einem leuchtenden Himmel, einige Mitglieder der Wahren Anbeter Gottes bei einem ihrer alljährlichen Sommerbasare.
    Und gleich entstand ein Bild. Der Anfang eines Bilds.
    Der erste Schritt war getan, der Bann gebrochen. Bert holte tief Luft. Von hier aus würde er sein Netz weben. Wie eine Spinne. Faden für Faden würde er aneinanderfügen. Und irgendwann beobachten, wie der Mörder sich darin verfing.
    Er legte einen Ordner für die Informationen an, die ihm besonders wichtig waren. Die übrigen heftete er in einem zweiten Ordner ab. Hauptsächlich nutzte er für seine Arbeit den Computer, aber seine Intuition brauchte daneben noch andere Nahrung. Er konnte und wollte auf (von vielen Kollegen belächelte) Hilfsmittel wie Papier, Ordner und Pinnwand nicht verzichten. Sie erlaubten, dass das Denken sich verlangsamte. Dass Einfälle sich sammeln konnten.
    Jeder Kopf funktionierte anders. Da gab es keine Gleichmacherei.
    Der Chef war seit Jahren auf dem Rationalisierungstrip. Immer das Neueste an Technik und Know-how, Zusammenarbeit mit Spezialisten, Teamwork als oberstes Gebot, regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen, Transparenz in der Ermittlungsarbeit.
    Jeder Mitarbeiter sollte Teil des großen Ganzen sein. Eigenbrötler hatten in diesem Universum nichts verloren.
    Bert war das schwarze Schaf in der Herde und er hatte sich an die Rolle gewöhnt. Nicht dass er sie unbedingt haben wollte - er konnte einfach nicht aus seiner Haut. Er bestand darauf, dass es ein Recht auf individuelle und vielseitige Ermittlungsmethodik geben müsse. Und er vertrat die Ansicht, dass etwas so Ursprüngliches und Wesentliches wie der Instinkt nicht diskriminiert werden dürfe.
    Oft war es nämlich nicht sein Verstand gewesen, der ihn bei einem Fall auf den richtigen Weg gebracht hatte, sondern sein Gefühl. Gefühle aber waren bei der Polizeiarbeit tabu.
    Das zumindest behauptete der Chef, der jetzt, wie auf sein Stichwort, hereingeplatzt kam. Er tat das gern, unangemeldet  vorbeischauen, wie er es nannte. Dazu gehörte offenbar auch, dass er nicht anklopfte. Er stieß die Tür auf und stand in seiner vollen Pracht im Raum.
    Bert sah von seinen Unterlagen auf. »Nur herein«, sagte er mit gespielter Munterkeit und wies auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. »Setzen Sie sich doch.«
    Es war dem Chef nicht anzumerken, ob er den versteckten Vorwurf heraushörte. Er folgte der Aufforderung nicht, trat ans Fenster und lehnte sich gegen die Fensterbank.
    »Neuigkeiten, Melzig?«
    Die Gespräche mit dem Chef verliefen selten im Plauderton. Dazu wäre ein Mindestmaß an Höflichkeit nötig gewesen. Bert fragte sich, welche Neuigkeiten der Chef erwarten mochte. Es waren seit der

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