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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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hatte keine Wahl.« Merle sah angegriffen aus. Schatten lagen unter ihren Augen. »Du warst am Tatort, Mina. Neben dem toten Max. Damit bist du so gut wie schuldig. In den Augen der Polizei«, fügte sie rasch hinzu. »Ich glaub immer noch nicht, dass du es getan hast.«
    »Ich wollte, ich wäre so sicher wie du.«
    Draußen schepperte es. Mina zuckte zusammen. Merle und ich hatten uns längst an die Betrunkenen gewöhnt, die auf ihrem nächtlichen Heimweg durch unser Viertel torkelten. Die manchmal gegen die Türen hämmerten, Briefkästen aus der Verankerung rissen oder Mülltonnen umkippten.
    Ich stand auf, um uns noch einen Kaffee zu holen. Den letzten für diese Nacht.
    »Und wenn wir mal ein bisschen bei den Wahren Anbetern Gottes rumschnüffeln?«, schlug Merle vor. »Bestimmt gibt es unter ihnen einige, die Max Gaspar nicht mochten.«
    Die Idee gefiel mir. »Wir könnten behaupten, wir wären an ihrer Gemeinschaft interessiert.«
    »Bloß nicht!« Mina sprang auf. »Die sind gefährlich. Ihr seid denen nicht gewachsen.« Donna war bei der abrupten Bewegung von Minas Schoß gerutscht und verließ beleidigt die Küche.
    »Wenn du dich da mal nicht täuschst.« Merle grinste. »Allerdings«, sie wurde wieder ernst, »allerdings wäre mir wohler, wenn wir ein Versteck für Mina wüssten. Nur für den Fall, dass der Kommissar doch anfangen sollte, sich ernsthaft für sie zu interessieren.«
    »Nein. Ihr habt genug für mich getan. Ich will nicht …«
    »Blödsinn!« Merle griff nach dem Kaffee, den ich ihr hinhielt. »Darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren.«
    Ich schob auch Mina einen Kaffee hin und setzte mich mit meiner Tasse wieder an den Tisch. Die Mühle kam nicht infrage. Dafür gäbe meine Mutter sich niemals her. Aber was war mit dem Haus meiner Großmutter? Nein. Auch das war keine Lösung. Der Kommissar durfte Merle und mich nicht mit Minas Versteck in Verbindung bringen.
    Draußen wurde es allmählich hell. Vielleicht sollten wir uns doch noch etwas hinlegen. Ich hatte einen anstrengenden Tag im Heim vor mir und Merle und Mina mussten sich den Fragen des Kommissars stellen.
    Wir ließen alles stehen und liegen und krochen in die Betten. Kommt Zeit, kommt Rat, hörte ich meine Großmutter ganz von fern. Dann fielen mir die Augen zu.
     
    Hätten wir nur mehr Zeit gehabt, dachte Mina. Wir waren doch schon so weit gekommen.
    Behutsam hatte Tilo sie durch die Therapie geführt. Vor allem ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie die Erkenntnis verkraftet hatte, eine Multiple zu sein.
    Jetzt war das Team auf sich selbst angewiesen. Es gab keinen geschützten Raum mehr für die Sitzungen. Die Polizei würde kommen. Alles würde sich verändern. Minas anfängliche Panik hatte sich in Resignation verwandelt. Sie konnte nichts tun, als abzuwarten.
    Das hast du dir selber eingebrockt. Hättest du dich in das Leben der Gemeinschaft eingefügt …
    Mina starrte angestrengt auf das Wandgemälde. Sie wollte diese Stimme nicht hören. Sie hatte Angst vor ihr.
    … hockst da in diesem fremden Zimmer …
    Die Farben zogen sie sonst immer in ihren Bann. Heute nicht. Die Angst war ihr im Weg. Sie versuchte, sich das Mädchen vorzustellen, das dieses Bild gemalt hatte. Ilka. Ein schöner Name.
    … glaubst du immer noch, du könntest mich negieren? Du arme Irre.
    Irre? Mina hatte lange genug befürchtet, verrückt zu sein. Aber sie war nicht verrückt. Sie war nur nicht allein in ihrem Körper. Tilo hatte ihr versprochen, dass sie irgendwann mit den anderen Persönlichkeiten würde leben können. Irgendwann …
    Die Therapie war ein Fehler. Damit hast du alles verraten, was heilig ist. Den Vater. Die Mutter. Die Gemeinschaft. Und Gott.
    Mina hielt sich die Ohren zu. Sie presste die Lippen aufeinander, um nicht zu schreien.
    Nichts hast du begriffen. Der Vater hat immer nur dein Bestes gewollt. Er musste streng mit dir sein. Weil er dich geliebt hat. Und du gehst hin und tötest ihn. Deinen eigenen Vater!
    »Ich hab ihn nicht getötet«, murmelte Mina. »Ich hab’s nicht getan.«
    Die Unschuld in Person. Wie rührend!
    Die Stimme triefte vor Hohn. Mina sprang auf und lief zum Fenster. Mit klopfendem Herzen riss sie es auf und beugte sich hinaus.
    Du musst das wieder gutmachen. Die Schuld tragen und dich zu ihr bekennen. Und sühnen. Verstehst du? Du musst dich reinwaschen von dem, was du getan hast.
    Mina sah in den Hof hinunter. Jemand hatte Wäsche aufgehängt. Sie blähte sich im Wind. Auf den Balkonen der Häuser

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