Der Schiffsjunge der Santa Maria
zurückgelegt, ohne auch nur eine winzige Insel gesehen zu haben.
Kolumbus hatte die Kapitäne der Niña und der Pinta in seine Kajüte kommen lassen, um sich mit ihnen zu beraten. Durch das dünne Holz der Wände konnten Luis und viele andere Matrosen hören, wie die drei sich gegenseitig beschimpften.
Nach über einer Stunde verließen die beiden Kapitäne mit hochroten Gesichtern und zorniger Miene die Kajüte des Admirals, um in die Boote zu steigen, die sie zurück auf ihre Schiffe bringen würden.
»WIR WERDEN NICHT UMKEHREN!«,brüllte Kolumbus ihnen durch die offene Tür hinterher. »Auf gar keinen Fall! Ich bin der Admiral dieser Flotte. Der König und die Königin haben mich ernannt. Und ihr habt meinem Befehl zu gehorchen! Indien ist nicht mehr weit. Ihr werdet schon sehen!« Dann schlug er die Tür krachend ins Schloss.
Luis stand neben Jacomo und schaute seinen Freund fragend an. Der schüttelte den Kopf. »Irgendwo da vorne isse Indien«, sagte er. »Aber ob wir jemals erreichen?«
Überall auf der Santa Maria standen Matrosen in kleinen Gruppen beieinander und tuschelten. Luis hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Er war sich sicher, dass bald etwas Schlimmes passieren würde.
Am Abend desselben Tages legte Luis sich auf den Planken neben dem Hauptmast schlafen. Polifemo hatte die erste Nachtschicht an der Ampolleta. Kolumbus war der Einzige auf dem ganzen Schiff, der ein Bett hatte. Alle anderen legten sich dort schlafen, wo sie gerade Platz fanden.
Die Sonne war schon untergegangen, als Luis wach wurde. Er schaute in einen schwarzen, sternenübersäten Himmel. Die Segel waren gebläht, der Wind war endlich wieder stärker geworden. Was hatte ihngeweckt? Luis hörte Stimmen. Woher kamen sie? Er setzte sich auf und blickte sich um.
An jedem der drei Masten hing eine flackernde Laterne, die das Schiff in ein fahles Licht tauchten. Luis konnte nichts erkennen. Viele Männer schliefen auf dem Deck, einige saßen verschlafen über ihm in den Wanten. Doch niemand schien sich zu unterhalten. Einen Moment lang war Luis ratlos. Dann sah er die offene Ladeluke zwei Schritte neben sich. Wieso stand die offen? Die Stimmen kamen eindeutig aus dem Laderaum. Jetzt konnte Luis einige Sätze aufschnappen.
»Wir zerren ihn aus seiner Kajüte und werfen ihn ins Meer!«
Luis erkannte, wer da sprach. Das musste der alte Diego sein.
»Jawoll! Ins Meer mit ihm!«
»Wir sagen einfach, er sei beim Sternegucken ins Wasser gefallen!«
»Gute Idee, so machen wir’s!«
»Wann legen wir los?«
»Jetzt gleich. Wir warten noch auf Fernando.«
»Kann mal einer die Luke zumachen? Sonst hören uns die anderen noch!«
Im nächsten Moment wurde die Ladeluke vonunten geschlossen. Die Stimmen der Männer verschmolzen zu einem einzigen Gemurmel.
Luis hatte das Gefühl, als hätte sich eine eiserne Hand um seinen Hals gelegt. Er atmete schnell. Panik stieg in ihm hoch. Die wollten Kolumbus umbringen! Er musste etwas tun! Luis schaute sich um. Wer könnte helfen? Hatte er überhaupt noch Zeit, um nach Hilfe zu suchen? Wo hatte sich Jacomo nur schlafen gelegt? Oder gehörte er etwa zu den Verschwörern?
Die Gedanken rasten durch Luis’ Kopf wie ein aufgescheuchter Spatzenschwarm. Sein Blick fiel auf das Achterdeck, wo Peralonso in seiner kleinen Kammer die Ruderstange hielt. Luis verscheuchte die Spatzen aus seinem Kopf, jagte wie ein Wirbelwind in die Ruderkammer – und erschrak. Dort stieß er im fahlen Licht einer Öllampe nicht nur auf Peralonso, sondern auch auf Polifemo, der eben die Ampolleta umdrehte. An den hatte Luis nun gar nicht gedacht. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Atemlos erzählte er den beiden Männern, was er eben gehört hatte.
Der Einäugige starrte ihn an. »Und du bist ganz sicher?«
»Es gibt keinen Zweifel«, keuchte Luis. »Die werdengleich losschlagen. Wir müssen etwas tun. Jetzt sofort!«
»
Du
wirst gar nichts tun«, knurrte Polifemo. »Du bist noch zu klein. Selbst der dürre Fernando könnte dich mit einer Hand über Bord werfen.«
»Pah!«, machte Luis. »Der soll mal kommen. Den werde ich …« Sie hörten Stimmen und Getrappel auf dem Deck.
»Bind die Stange fest«, raunte Polifemo dem Steuermann zu. »Und komm mit! Und du …«, er wandte sich an Luis, »… du bleibst hier und rührst dich nicht von der Stelle!«
Luis dachte gar nicht daran. Er stürmte den beiden Männern hinterher, hinaus auf das Deck und die Leiter hinauf zur Kajüte des Admirals. Sie
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