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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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zusammenbrach.
    »Dann bist du Toastbrot, Ledger.« Marisol triefte nur so vor gespielter Melodramatik und tupfte sich mit einer Papierserviette die Augen trocken.
    In plötzlicher Panik verschluckte ich mich und spuckte Muffinkrümel durch die Gegend. Wenn ich es jemals schaffen würde, wieder nach Hause zu kommen, wollte ich auf keinen Fall geröstet, verkohlt oder extra knusprig in der Theodore-Roosevelt-Schule erscheinen. Plötzlich kehrte das Gefühl, dass Ameisen unter meiner Haut herumkrabbelten, zurück, und meine Beine wippten unter dem Tisch wild auf und ab.
    Ich durfte nichts darauf geben, was die Zwillinge sagten, das war mir klar. Aber dieses Wissen konnte nicht verhindern, dass sich meine unerwünschte Schimmerenergie immer weiter aufstaute, während ich den beiden dabei zusah, wie sie sich in einer Klamauknummer mein Hinscheiden ausmalten; jegliche schlagfertige Antwort verdorrte mir auf der Zunge.
    Mein Blick wanderte vom Hauptgebäude über das Insektenhaus und das Windrad zu den Autos in der Einfahrt. In einer Vorausblende sah ich all das in Schutt und Asche vor mir liegen. Durch meinen Schimmer war ich vielleicht nicht so schnell geworden wie der Schall, aber er hatte mir reichlich Dampf gegeben, den ich ablassen musste. Und bis ich endlich wüsste, wie man seinen Schimmer in Schach hielt, fiel mir nur eine Möglichkeit ein, mich abzureagieren:
    »Ich geh mal eine Runde laufen.«

10
    Als ich mich zum Gehen wandte, sprang Bitsy von ihrem Platz auf der Veranda hoch und hüpfte auf ihren drei Beinen zu mir hin, als wollte sie mitkommen.
    »Lauf zurück!«, sagte ich und scheuchte sie weg. »Du bist nicht schnell genug, Bitsy. Bleib bei Opa.«
    An der Landstraße, beim Einfahrtsschild zur Ranch, hielt ich an, um Atem zu schöpfen. Ich hatte mich noch nicht an die dünnere, trockenere Luft von Wyoming gewöhnt und war mit Volldampf den Südhügel hinauf- und auf der anderen Seite wieder hinuntergerannt. Auf dem hoch aufragenden, massiven Stahlschild stand der Name der Ranch, daneben war ein Schmetterling mit braunen Flügeln und orange umrandeten schwarzen Augenflecken an den Flügelspitzen abgebildet: Das war das Große Ochsenauge – der Schmetterling, über den Autry gerade geforscht hatte, als er die Mutter der Zwillinge kennenlernte.
    Das schwere Schild zitterte. Ich entfernte mich schnell, wandte mich nach Osten und folgte dem Straßenverlauf. Ehe ich Sundance erreichte, würde ich wieder kehrtmachen, nahm ich mir vor.
    Ich atmete regelmäßig, das Blut wurde rhythmisch durch meinen Körper gepumpt. Die Sohlen meiner Turnschuhe klatschten laut auf dem Asphalt. Meine Arme schwangen seitlich am Körper mit. Da ich nicht noch einmal dafür verantwortlich sein wollte, dass ein Auto zu Bruch ging oder ein Motorrad in seine Einzelteile zerfiel, verließ ich die Straße, sobald sich jemand näherte.
    Ich versuchte das Schauspiel zu vergessen, das die Zwillinge mir geliefert hatten. Dass sie behauptet hatten, meine Eltern würden mich nie mehr von der Ranch abholen. Ich wusste nicht, wie lange ich in Rockets Nähe überleben würde. In den letzten beiden Nächten war ich wohl oder übel in seinem kleinen Lehmhaus oben auf dem Osthügel in die Federn gekrochen. Weil es dicke, zementartige Wände hatte, spärlich möbliert war und es dort keine elektronischen Anlagen und Geräte aller Art gab, erschien dieses Häuschen allen als der sicherste Ort für mich.
    Rocket und ich hatten nach dem Einsturz der Scheune noch kaum ein Wort miteinander gewechselt, als er einen Schlafplatz für mich herrichtete.
    »Hast du alles, was du brauchst?«, hatte er gefragt und mir einen Schlafsack zugeworfen.
    »J- uff! «, antwortete ich, als der Schlafsack gegen mich knallte.
    »Zahnbürste?«
    Ich nickte.
    »Brauchst du ein Kissen?«
    Ich hielt inne, ehe ich erneut nickte, da ich nicht zu anspruchsvoll erscheinen wollte.
    Rockets letzte Frage wurde von einem bösen Blick begleitet: »Schnarchst du?«
    Mir blieb nichts anderes übrig, als die Schultern zu zucken und mir in Gedanken immer wieder vorzusagen: Bloß nicht schnarchen, Ledge … Bloß nicht schnarchen  …
    Als Rocket verschwand, um ein Kissen zu holen, schaute ich mich vorsichtig in dem Zimmer um. An sämtliche Wände hatte er Landkarten und Bilder von Motorrädern geklebt, und auf jeder Ablagefläche stapelten sich Reisemagazine und Abenteuerberichte. Es gab auch Fotos, von der Familie und von Leuten, die ich nicht kannte. Rocket hatte die Ranch zwar seit

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