Der Schimmer des Ledger Kale
zerstört. Die Scheune. Die Hochzeit. Dads Träume. Ganz zu schweigen von meinen Hoffnungen darauf, jemals so etwas wie ein normales Leben zu führen. Was sollte denn da, bitte schön, ein bisschen Fingerspitzengefühl ausrichten? Ich hatte sogar Opa Bomba den Trost für seine letzten Tage genommen; alle Radiogläser von Oma waren vom Tisch gefallen und in tausend Stücke zersprungen.
Alle, bis auf eins.
Und das war durch meine Schuld abhandengekommen.
Wenn Sarah Jane auch vielleicht nicht wusste, was es hieß, einen Schimmer zu haben, so hatte sie doch genug gesehen, um als Nächstes lauter unangenehme Fragen zu stellen. Jetzt, mit Opas letztem Glas in ihrem Besitz, hatte sie das, worauf jeder gute Reporter scharf ist: einen Beweis.
Als die Rücklichter von Jonas Browns Auto über den Hügeln im Süden verschwanden, schickte ich erneut ein Gebet zum Himmel. Ich betete, dass dies das letzte Mal sein würde, dass ich den Sheriff von Crook County zu Gesicht bekam. Ich betete, dass Mom und Dad nicht ohne mich nach Indiana zurückfahren würden. Und ich betete, dass sie mich nicht bei den Zwillingen – und Rocket – auf der Ranch der Außenseiter zurücklassen würden; eine weitere Spielart des Abseitigen, wie Bitsy eine war.
Doch schon während ich mein Gebet sprach, wusste ich, dass es um meine Aussichten nicht allzu gut bestellt war.
9
»Eure Eltern hatten es gestern ja ganz schön eilig, hier wegzukommen.« Mesquite gab meinem Ellenbogen beim Frühstück am Montagmorgen einen Schubs, woraufhin mir der Muffin, den ich gerade essen wollte, aus der Hand fiel; er rollte bis zum Ende des langen Klapptisches, an dem wir saßen – in sicherem Abstand zum Haus der O’Connells. Während die Sonne fleißig die Luft erwärmte, gab ich mir alle Mühe, cool zu bleiben. Gypsys Wolke aus Löckchen hüpfte hoch, als sie – viel zu spät – nach dem flüchtigen Muffin griff. Zwischen Gypsy und Fedora klaffte eine Lücke, die gerade groß genug für Samson war. Doch ob er wirklich zwischen den beiden Mädchen saß, konnte ich nicht sagen. Es ging das Gerücht, dass Gypsy ihren geisterhaften Bruder immer sehen konnte. Aber da war sie die Einzige. Ich versuchte einfach, nicht aus Versehen durch ihn hindurchzugreifen.
»Tja, Vorschlaghammer «, gluckste Marisol und verpasste mir so einen neuen Spitznamen. »Eure Alten haben dich und Fe ganz schön schnell abgestoßen.« Marisol hielt meinen Muffin an, kurz bevor er in den Dreck fiel, hob ihn wieder hoch und ließ ihn über dem Tisch schweben.
»Sie arbeiten beide.« Ich verkniff mir jeden weiteren Kommentar und sah zu, dass ich mein Temperament im Zaum hielt. Nachdem ich den Muffin aus der Luft geschnappt hatte, stopfte ich ihn mir schnell zur Hälfte in den Mund, wodurch ich ohnehin nicht mehr sprechen konnte. Mom hatte mir nahegelegt, gut mit den Zwillingen auszukommen.
Rocket arbeitete im Garten, und Autry nahm gerade ein Paket an, das per Express geliefert wurde.
Es war Autrys Vorschlag gewesen, dass Fedora und ich auf der Ranch bleiben sollten. Mom hatte sich Sorgen gemacht, was passieren würde, wenn sie uns allein ließ. Sie und Dad hatten unseren Besuch von Anfang an nur als Kurztrip geplant. In Dads Firma wurden gerade Stellen gestrichen, und er konnte seinen Job nicht riskieren, indem er außer der Reihe Urlaub nahm. Mom dagegen hätte ihre Arbeit von jetzt auf gleich geschmissen und in Kauf genommen, dass wir die Hypothek und die Autoraten nicht bezahlen konnten, wenn Autry und Dad sie nicht davon überzeugt hätten, dass mir ein Sommer in Wyoming vielleicht ganz guttat – und Fedora auch.
»Entspann dich, Dinah. Die Kinder werden es hier gut haben«, hatte Autry Mom versichert, als sie und Dad ihre Abreise vorbereiteten. »Wie viele Sommerferien haben wir nicht als Kinder hier verbracht? Weißt du noch, als die Beachams auch da waren? Wir haben jede Menge Unsinn gemacht – dich eingeschlossen.« Autry grinste. »Diese Ranch hat noch niemandem geschadet.«
»Du hast dir hier ein Bein gebrochen, Autry«, gab Mom trocken zurück. »Und dein Schlüsselbein. Außerdem bist du in den Fluss gefallen und wärst beinahe ertrunken, wenn Cam Beacham dich nicht rausgefischt hätte. Und noch ehe ihr beide wieder getrocknet wart, habt ihr euch bei den Kakteen ein Kämpfchen geliefert, nach dem du ungefähr tausend Stacheln in deinem …«
»Wie bitte?« Autry unterbrach Mom rasch. Dann zwinkerte er mir und Fedora zu. »Ich kann mich an nichts davon erinnern.
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