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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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dir mitbringt?«
    »Nichts«, antwortete ich schnell. Zu schnell. Gypsys Augenbrauen hoben sich noch weiter.
    »Sie hat nur eine Menge Fragen gestellt. Vor allem über dich.«
    Ich hielt die Luft an. »Und was hast du ihr gesagt?«
    Gypsy drehte sich noch einmal um sich selbst, bevor sie antwortete: »Ich hab ihr erzählt, dass du gern im Fluss badest, dass du aus Indiana kommst, dass du richtig schnell laufen kannst, wenn du willst … und dass du eines Tages Künstler wirst.«
    »Künstler?«, fragte ich schnaubend und vermied es, meine Augen dem schrecklichen Chaos zuzuwenden, das ich mit dem Windrad angerichtet hatte.
    Gypsys geheimnisvolles Lächeln war wieder da.
    »Habt ihr sonst noch über irgendwas gesprochen?«, fragte ich, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Du hast SJ doch nicht etwa was über unsere Familie verraten, oder? Über die Schimmer? Du hast ihr doch nichts gesagt …«
    »Jetzt komm mal wieder runter, Ledge«, unterbrach Gypsy mich. »Du bist ja völlig außer dir. Ich hätte es ihr beinahe gesagt, weil … weil sie es wirklich verdient hätte, davon zu erfahren. Aber …«
    »Weil sie es verdient hätte? Gypsy …!«
    Gypsys ruhiger Blick ließ mich innehalten.
    »Aber ich hab ihr nichts gesagt, Ledger. Ich schwör’s dir. Ich hab ihr stattdessen das Insektenhaus gezeigt! Und die Puppen der Königin-Alexandra-Vogelfalter!« Gypsy seufzte, als machte es sie glücklich, andere an ihrem ganz persönlichen Märchenland hinter Glas teilhaben zu lassen.
    Ich ließ den Kopf in die Hände sinken und drückte mir die Handflächen in die Augen. Das war nicht so schlimm, wie unser Familiengeheimnis zu verraten, aber es kam dem schon sehr nahe. Was würde Sarah Jane wohl aus einer Geschichte über zwölf der weltgrößten Schmetterlinge machen, die sich auf der Ranch angesiedelt hatten – vom Aussterben bedrohte Tiere, die sich darauf vorbereiteten, in Crook County, Wyoming, zu schlüpfen?
    Sie würde sie zur Titelgeschichte ihrer Zeitung machen, genau das würde sie tun. Ich dachte an das Freiexemplar der Knüllerausgabe, mit dem Sarah Jane mir vor einer Woche gedroht hatte. Ich wartete immer noch darauf.
    Und betete inständig, dass es nie hier eintreffen würde.

18
    »Du hast Talent, Ledge!«, rief Winona drei Tage später, als ich sie davor bewahrte, die Radspeichen ein zweites Mal falsch einzuflechten. Ich war mir sicher, dass das Vorderrad der Knucklehead niemals rund bleiben würde, wenn sie so weitermachte.
    »Und du hast das wirklich noch nie gemacht?«, fuhr Winona fort. Ich warf schnaubend meinen millionsten bangen Blick auf die Drehbänke, Bohrer, Bandsägen und Abkantpressen, die viel Raum in Gus Nearys Werkstatt einnahmen. Zu meiner eigenen Verwunderung hatte ich mich beim Zusammenbauen der Motorradteile schon mehr als einmal ziemlich geschickt angestellt und herausgefunden, dass ich mit bloßem Auge erkennen konnte, wo beispielsweise ein Abstandsring fehlte, so wie Mom aus fast fünfzig Metern Entfernung einen Fleck sehen konnte. Dennoch saß ich, wie üblich, im Eingang der offenen Werkstatt, halb im Gebäude, halb draußen, und hielt verschiedenste Fluchtpläne im Kopf bereit.
    »Glaub mir«, antwortete ich. »Ich bin noch viel besser darin, Sachen kaputt zu machen.«
    »Ich weiß nicht, Kleiner.« Winona blickte zwischen mir und dem Motorradrahmen hin und her. »Du hast offensichtlich so einige brachliegende Fähigkeiten. Und, hey! Wenn Gus hier wäre, könntest du für ihn der Sohn werden, den er sich immer gewünscht hat.«
    »Lieber wäre ich der Sohn, den mein Vater sich immer gewünscht hat«, murmelte ich. Mir stockte der Atem, als plötzlich eine Schelle um den Lenker rotierte, doch die Panik, die mich sonst beim bloßen Gedanken, ich könnte wieder versagen, sofort überfiel, blieb diesmal aus. Aus irgendeinem Grund war es leicht, mit Winona zu reden, und die Arbeit mit den Händen löste mir die Zunge. Oft ertappte ich mich dabei, wie ich ihr Dinge erzählte, die ich noch nie jemandem erzählt hatte. Josh nicht. Ryan nicht. Und schon gar nicht dem Großmaul Brody.
    »Aus mir hätte eigentlich ein guter Läufer werden sollen«, fuhr ich fort und vergewisserte mich zweimal, dass die Schelle noch am richtigen Platz saß.
    »Aber du läufst doch jeden Tag, oder nicht?«
    »Ja«, erwiderte ich achselzuckend. »Ich bin aber trotzdem nicht schnell – zumindest nicht so schnell, wie mein Dad sich das mal erhofft hat. Seit er und Mom weggefahren sind, habe

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