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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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heißen Atem ins Gesicht bliesen. Als ich Opa so in seinem Sessel sitzen sah, bekam ich plötzlich Gewissensbisse. Ich war derart von allem anderen in Anspruch genommen – dem Laufen, der Knucklehead, dem mühseligen Unterricht bei den Zwillingen –, dass ich Oma Dollops Einmachglas und mein stillschweigendes Versprechen, es zurückzuholen, fast vergessen hätte.
    Rocket war an diesem Morgen früh weggefahren, nachdem er in einer Auseinandersetzung mit Autry den Kürzeren gezogen hatte. Er machte einen seiner seltenen Ausflüge, in seinem eigenen Wagen – einem verrosteten Ford F-1, der die Angewohnheit hatte, immer wegzurollen, wenn er irgendwo parkte, weil die Handbremse nichts mehr taugte. Autry hatte Rocket nach Sundance geschickt, um die Post abzuholen und einige Besorgungen zu machen, und wenn an Autrys Neckereien was dran war, würde er all die Mädchen verscheuchen müssen, die ihn umschwirrten wie Honigbienen den Klee; so wie er Fedora verscheucht hatte, als sie ihn angebettelt hatte, mitfahren zu dürfen.
    Meine Eltern riefen an, kurz bevor diese blödsinnige Zeitung kam.
    »Ledge? Fedora? Wer möchte zuerst mit ihnen sprechen?«, fragte Autry und reichte sein neues Handy über den Klapptisch.
    »Ich! Ich!«, rief Fedora. Ich hörte nur halb hin, während Fe auf Mom und Dad einplapperte. Doch ich spitzte die Ohren, als sie darüber sprach, wie man am sichersten eine Schaufel benutzte.
    »… und wenn man das genau so macht, fällt man nicht hin, wenn man auf was Hartes stößt!«, erklärte Fe. »Und wir hoffen, dass wir auf was Großes stoßen! Wir hoffen, wir finden …«
    »Psst! Fedora, nicht!«, zischte Marisol.
    »Genau!«, fügte Mesquite hinzu. »Du hast schon genug geredet. Jetzt ist Ledger dran!« Ohne Fedora die Gelegenheit zu geben, sich zu verabschieden, ließen die Zwillinge das Telefon aus der Hand meiner Schwester gleiten und schwungvoll zu mir hinschweben.
    Ich griff das Handy aus der Luft, bevor es mir gegen den Kopf knallen konnte, und holte tief Luft, als ich es ans Ohr hielt. Jetzt sollte Fedora sehen, dass ich kein Telefonangsthase war. Aber Fe setzte trotzdem schnell wieder ihren Helm auf und rückte an die hinterste Ecke des Tisches, nur für den Fall, dass Bruchstücke des Telefons durch die Luft flogen.
    »Ledger!« Eine Flutwelle mütterlicher Sorge schwappte aus dem Hörer, so laut, dass Gypsy auf der anderen Tischseite kicherte und ihre Hand vor den Mund schlug. »Isst du auch genug, Ledge?«, fragte Mom. »Du musst essen. Und putzt du dir die Zähne? Vergiss das nicht! Und die Zahnseide? Die darfst du auch nicht vergessen! Und denk daran, dich gut mit Sonnenschutz einzucremen, und lass dir von Autry nicht so viel Süßkram geben …«
    Ich verdrehte die Augen und war froh, dass ihr Schimmer übers Telefon nicht funktionierte. Ich empfand nur einen schwachen inneren Drang, mir die Zähne zu putzen, verspürte aber nicht den leisesten Impuls, ihr alles zu erzählen, was mich beschäftigte.
    »Geht es dir auch gut, Ledge?«, fragte Dad, als er übernahm.
    »Ich laufe viel, Dad«, versicherte ich ihm rasch. Ihm wollte ich gern von Winona und der Knucklehead berichten und davon, wie gut ich ohne einen einzigen Blick ins Handbuch wusste, welches Teil wohin gehörte. Ich hätte ihm gern von dem Windrad erzählt und wie ich den Turm verdreht und verbogen hatte, ohne alles kaputt zu machen. Und ich hätte ihn gern gefragt, ob Josh und Ryan angerufen hatten oder vorbeigekommen waren oder ob Brody der halben Stadt erzählt hatte, dass ich in Wyoming wegen Pfeiffer’schem Drüsenfieber oder Masern oder Rinderwahnsinn in Quarantäne gehalten wurde.
    »Ich laufe, Dad. Ich laufe jeden Tag« war alles, was ich rausbekam.
    »Das ist toll, mein Junge«, erwiderte Dad. »Aber wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?«
    »Ich glaube, ich bin schon schneller geworden. Aber die Luft ist dünner hier und …«
    »Ledger …«, unterbrach Dad mich, aber ich erfuhr nicht mehr, was er sagen wollte, weil Rocket, der gerade aus der Stadt zurück war und griesgrämiger aussah denn je, diesen Moment wählte, um vor mir einen Umschlag auf den Tisch zu legen.
    Ich hörte: »Ledge? Ledger? Bist du noch dran?« Dann ging Dads Stimme in Knistern und Rauschen unter. Ich ließ das Telefon vom Ohr sinken, während Rocket mit einem einzelnen aufblitzenden Funken auf Sarah Janes schnörkelige Handschrift zeigte:
    An
Cowboy Ledge
alias Der König der Zerstörung
c/o Ranch zum Fliegenden Ochsenauge
    Von
S. J.

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