Der Schimmer des Ledger Kale
bald das Unkraut im Garten jäten oder die Komposteimer schrubben. Oder schlimmer noch: die Larven von Grauen Knospenwicklern an gierige Stinkwanzen verfüttern.
»Jetzt erzähl doch mal, Ledger.« Opa berührte mich leicht mit der Hand am Arm. »Erzähl mir die Geschichte.«
»Welche Geschichte, Opa?« Ich sah ihn verdutzt an.
»Erzähl mir, wie das Glas verloren ging und wie es den weiten Weg zu mir zurückfand.«
»Aber …«
»Erzähl mir einfach die Geschichte, Ledger.« Opa Bomba schloss die Augen und lehnte sich in die Polster seines Sessels zurück, während der Fluss uns wie eine Ur-ur- und noch urigere Urgroßmutter murmelnd etwas aus der Vergangenheit zutrug. »Und, Ledge«, fügte Opa dann hinzu, wobei er ein Auge noch mal kurz aufmachte.
»Ja, Opa?«
»Mach eine richtig gute Geschichte draus.«
Ich wälzte mich die ganze Nacht im Bett hin und her, weil ich mich fragte, ob SJ Ärger bekommen hatte oder ob es ihr gut ging. Weil ich mich fragte, ob Jonas Brown seine Sheriffspflichten tatsächlich verletzt und Mr Cabot unseren Aufenthalt in seiner Firma verschwiegen hatte. Und auch weil ich mich fragte, was Mr Cabot wohl beim Anblick der nagelneuen Wendeltreppe gedacht haben mochte, die zum Fenster seiner Tochter hinaufführte.
Am nächsten Morgen war ich übernächtigt und müde. Während Onkel Autry wie ein völlig neuer Mensch aussah – oder vielmehr wie ein völlig neues Kind, wenn man nach seinem Benehmen ging. Er weckte uns früh, noch vor Sonnenaufgang, hielt uns eine E-Mail unter die Nase und wirbelte dann wie eine Frisbeescheibe zwischen Pick-up, Insektenhaus und seinem Arbeitszimmer hin und her.
»Was ist denn los?«, fragte ich gähnend unter dem grau-rosa Himmel, während ich beobachtete, wie Fedora gegen die Reifen von Autrys Wagen trat und überprüfte, ob auch alles sicher und tipptopp aussah.
»Onkle Autry fährt weg«, sagte sie.
»Nur für heute!«, rief Autry hinter einem Stapel von Schaubildern, Papieren und Schmetterlingsfotos hervor, die er gerade ins Auto lud.
»Ein paar Leute haben von den Schmetterlingen gehört und wollen Onkel Autry Geld geben, damit er das Insektenhaus behalten kann!« Gypsy klatschte in die Hände. Sie war außer Rocket die Einzige, die nicht so aussah, als würde sie gern wieder zurück ins Bett kriechen. »Aber …«
»Aber nur, wenn ich mir vorstellen kann, es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen«, beendete Autry den Satz für sie und kam um den Pick-up herum zu uns.
Marisol und Mesquite waren plötzlich schlagartig wach.
»Wie so eine Art Zoo?«, fragte Mesquite unsicher.
»Du willst vollkommen Fremde ins Insektenhaus lassen, Papi?«, stimmte Marisol mit ein. »Kleine Kinder mit Lutschern und Erwachsene mit großen, klobigen Füßen?«
»Ich weiß es noch nicht«, antwortete Autry. »Ich fahre jetzt zu einem Treffen nach Cheyenne und stelle dort meine Arbeit vor. Und beweise denen, dass wir hier waschechte, quicklebendige Alexandras haben.
Das könnte die Lösung sein, Mädels!« Er grinste die Zwillinge an. »Das könnte die Rettung für unsere Ranch sein! Und die Leute würden etwas lernen, wenn sie hierherkämen, ganz gleich wie groß ihre Füße auch sind. Niemand kann sich einen Königin-Alexandra-Vogelfalter ansehen, ohne dass es ihn verändert! Nur sollten wir dann wohl mal überlegen, ob wir nicht einige der größeren Spinnen woanders unterbringen können …« Autry kratzte sich am Kopf.
Ich machte einen Schritt zurück und sah zu, wie Marisol und Mesquite ihren Vater zum Abschied umarmten. Dann drehte Autry sich um und zerstrubbelte Gypsys Haare.
»Du bist heute für die Schmetterlinge zuständig, okay, Gypsy? Alles andere übernimmt Rocket.«
Rocket nickte. Gypsy wirbelte barfuß herum und salutierte, dann fügte sie hinzu: »Ich passe auf sie auf, egal, was kommt!« Die Riesenschmetterlinge waren ein großer Erfolg für Onkel Autry. Er hatte nicht einen einzigen von ihnen verloren.
Bevor er losfuhr, drehte Autry sich zuletzt noch zu mir und Fedora um.
»Was immer ihr zwei auch tut – wenn eure Mutter anruft, dann sagt ihr bloß nicht, dass ich in Cheyenne bin. Sonst zieht sie mir das Fell über die Ohren. Außerdem bin ich ja heute Abend schon wieder zurück. Ich denke, ich konnte eure Eltern davon überzeugen, dass sie nicht stehenden Fußes herkommen müssen. Aber wenn Dinah herausfindet, dass ich nicht hier bin, um euch vor weiterem Ärger zu bewahren, wird sie mit Hilfe ihres Schimmers die Luftwaffe von
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