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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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zerreißt. Ich hab diesen Schein unterschrieben und damit in Nobles Bedingungen eingewilligt. Also muss ich auch die Konsequenzen tragen.«
    Ich ließ den Kopf hängen. Es war dumm von mir gewesen zu glauben, ich könne die Probleme meines Onkels lösen; es war dumm gewesen, SJs Brief zu glauben. Auch wenn ich jetzt ja wusste, dass es mir niemals gelingen konnte, irgendetwas nicht zu glauben, was Sarah Jane schrieb. Ihr Schimmer würde das verhindern.

32
    Ich hielt nach Opa Ausschau, um ihm endlich Oma Dollops Glas zurückzugeben. Er saß in seinem Polstersessel am Fluss und genoss den Schatten der riesigen Pappel, die einmal Cam Beachams Glückshandschuh gewesen war.
    »Hier, bitte, Opa«, sagte ich, überreichte ihm das Erdnussbutterglas und beobachtete, wie das faltige Gesicht des alten Mannes vor Freude erstrahlte.
    »Oh, was haben wir denn da«, murmelte Opa, lockerte den Deckel ein bisschen und lauschte der eingemachten Sinfonie, als wäre es die erste Musik, die jemals an sein Ohr drang.
    »Es … es ist nicht kaputtgegangen, Opa. Es ist nur … es war eine Zeit lang irgendwie verschwunden.«
    Opa stand aus seinem Sessel auf und umarmte mich mit mehr Kraft, als ich ihm je zugetraut hätte. Er küsste das Glas, drehte noch ein bisschen am Deckel und hielt es dann im Arm, während er mit langsamen, schlurfenden Schritten einen Walzer zu der Musik tanzte, als wäre Oma Dollop bei ihm. Bitsy legte den Kopf in den Nacken und heulte in hündischer Harmonie dazu. Vögel tschilpten und zwitscherten. Insekten zirpten im Rhythmus. Als ich Tränen die tiefen Furchen in Opas Wangen herabrinnen sah, drehte ich mich schnell weg und hoffte, dass ich auf meine Art genug gesagt und getan hatte.
    »Ledger!« Eine kaum hörbare Stimme hielt mich zurück. Ich schaute mich um, konnte aber niemanden erblicken. Ein Schatten streifte mich, und eine Minute lang stand plötzlich Samson da; auch er hatte sich aus einem Sessel erhoben, der neben Opas stand. Zwar konnte ich durch ihn hindurch weiter den Fluss und die Pappel sehen, aber er war ganz sicher da; in der einen Hand hielt er ein Buch, die andere war ausgestreckt, als hätte er mir an die Schulter fassen wollen, es sich dann aber im letzten Moment anders überlegt.
    »Setz dich ein bisschen in meinen Sessel«, sagte er mit vom seltenen Gebrauch belegter Stimme. »Ich muss was für Onkel Autry erledigen, und es ist besser, wenn Opa nicht allein bleibt.« Dann war er weg – Simsalabim!  –, einfach so. Aber irgendwie war ich erleichtert, dass ich ihn endlich einmal gesehen hatte.
    Das Tanzen ermüdete Opa rasch. Seine Tränen flossen langsamer und versiegten schließlich ganz. Doch kaum dass er sich mit Oma Dollops Glas wieder hingesetzt hatte, fing er an, die Deckel aus Fedoras Helm einen nach dem anderen in den Fluss zu werfen. Er sah dabei zu, wie sie auf dem Wasser hüpften und – plitsch, platsch!  – kleine Fontänen hochspritzten.
    »Opa!«
    »Schon gut, Ledger. Alles ist vergänglich. Meine Dolly Dollop ist nicht mehr, und bald wird es Zeit für mich, ihr zu folgen. Ich lebe schon zu lange von geborgter Kraft.« Opa schaute an mir vorbei, als sähe er in der Ferne immer noch Samsons Schatten. Dann klopfte er auf dessen leeren Platz. »Setz dich und leiste einem alten Mann Gesellschaft.«
    Bitsy kam hoppeldihoppel zu mir und drückte ihre feuchte Nase in meine Hand. Ich kraulte sie hinter den Ohren und setzte mich. Opa gab mir auch eine Handvoll Deckel, und wir warfen sie gemeinsam in den Fluss. Bald funkelten sie alle unter Wasser wie Wunschmünzen in einem Brunnen.
    Während ich, tief in das Polster von Samsons Sessel mit der hohen Rückenlehne versunken, dasaß, wurde mir bewusst, wie bequem mir die harten, unzerbrechlichen Stümpfe am Lagerfeuer inzwischen vorkamen. Wochenlang hatte ich nur nach Hause gewollt. Jetzt wusste ich, dass ich die abgesägten Baumstämme vermissen würde. Ich würde eine Menge Dinge vermissen. Und auch eine Menge Leute.
    Autry hatte sich dazu verpflichtet gefühlt, meine Eltern anzurufen, als wir vom Sheriff zurückkamen. Mom war total ausgeflippt. Und als Autry ihr schließlich von der bevorstehenden Zwangsvollstreckung erzählte, war sie sogar noch mehr ausgeflippt und hatte darauf bestanden, dass sie und Dad sofort nach Wyoming kommen müssten.
    Seufzend warf ich den letzten Deckel in das vorbeiströmende Wasser und dachte an die lange Liste von Strafarbeiten, die Autry bestimmt gerade für mich zusammenstellte. Sicher musste ich

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