Der schlafende Engel
nickte.
»Das wundert mich nicht.« Ihre Stimme klang abwesend.
»Was hat das zu bedeuten?«, wollte April wissen und beugte sich vor. »Los, sag es mir! Wer ist der König? Wo will Gabriel hin?«
»Das weiß ich nicht.«
»Davina, bitte«, flehte April eine Spur sanfter. »Ich habe Angst, Gabe könnte wieder mal glauben, er müsste den Helden spielen, und versucht, es ganz allein mit dem König aufzunehmen.«
»Ja, das klingt nach Gabriel«, erklärte Davina bitter. »Er hat sich ja schon immer für etwas Besonderes gehalten.«
»Verdammt noch mal, Davina!«, schrie April und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich habe dieses blöde Rätselraten endgültig satt. Du sagst mir jetzt auf der Stelle, was du weißt.«
»Das willst du nicht wissen.« Davina griff nach ihrem Glas. »Glaub mir.«
Mit einer wütenden Bewegung schlug April Davina das Glas aus der Hand, das quer durch die Küche flog und am Kühlschrank zerbarst.
» DOCH !«, schrie sie. »Ich will es wissen. Und jetzt raus mit der Sprache, oder muss ich es erst aus dir rausprügeln?«
Davinas Lächeln verflog, und ein boshafter Ausdruck erschien in ihren Augen.
»Gabriel ist ein Killer, April.«
»Ja, klar. Das weiß ich selbst.«
»Nein, tust du nicht. Weil du es nicht glauben willst . Du willst ihn als deine eigene Version von einem Vampir haben, eine entschärfte, sauber geschrubbte Version des Mannes, der sich die Hände niemals schmutzig machen würde. Aber sieh den Tatsachen ins Auge: Dein Schatz trinkt seit über hundert Jahren Blut. Du glaubst doch nicht ernstlich, dass er noch nie jemanden getötet hat, oder?«
April wollte protestieren, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Glaubte sie es wirklich? Nach all den Träumen und Visionen, die Gabe in letzter Zeit quälten? Was, wenn er diesen Frauen tatsächlich nachgestellt und sie getötet hatte? Was dann? Konnte sie tatsächlich damit leben, ihn noch genauso ansehen wie früher?
»Er hat ein Versprechen gegeben …«, begann sie, doch Davina lachte nur.
»Du meinst dieses Versprechen, das er Lily gegeben hat, seiner armen, pockenverseuchten Freundin? Dass er niemals ein anderes Leben führen würde? Hast du ihm diesen Quatsch etwa abgekauft? Meine Güte, denk doch mal nach. Gabriel hat sich um seiner großen Liebe willen in einen Vampir verwandeln lassen, sein Herr und Meister weigert sich aber, sie zu retten, weshalb Gabriel mitansehen muss, wie sie stirbt. Wie hat er deiner Meinung nach reagiert? Glaubst du ernsthaft, er hätte bloß mit den Achseln gezuckt und wäre für die nächsten fünfzig Jahre in der Versenkung verschwunden? Blödsinn, April. Er ist in einen regelrechten Blutrausch verfallen, aus dem er erst wieder aufgewacht ist, als er knietief in Leichen stand.«
April rang nach Atem. Davina mochte ein gehässiges Miststück sein, aber ihre Logik war nicht von der Hand zu weisen. Hätte er Lilys Tod tatsächlich klaglos hingenommen? Auf keinen Fall. Er hätte auf Rache gesonnen. Blutige, gewalttätige Rache. Oh Gott, hatte er früher etwa wirklich getötet? Und was noch viel wichtiger war – hatte er jemals damit aufgehört? April wandte sich Davina zu und sah ihr in die Augen.
»Hat Gabriel Isabelle getötet?«
Sie versuchte, sich daran zu erinnern, was Gabriel über jene Nacht erzählt hatte, was er gesehen und wie er verzweifelt versucht hatte, Isabelle aus den Fängen eines blutrünstigen Vampirs zu befreien. Hatte er womöglich von sich selbst gesprochen?
»Nein«, sagte Davina schließlich.
»Woher willst du das so genau wissen? Woher willst du wissen, dass Gabriel Isabelle nicht getötet hat?«
»Weil ich sie getötet habe.«
Aprils Augen weiteten sich.
»Was? Nein! Wie konntest du das tun?«
»Wie ich das tun konnte?«, blaffte Davina. »Ich habe der Welt damit einen Gefallen getan! Im Grunde habe ich einen tollwütigen Hund zur Strecke gebracht. Sie war eine Furie !« Davina spie das Wort förmlich aus, als beschreibe sie eine eklige Schlangengrube. »Sie war krank. Hast du mitbekommen, was mit Milo passiert ist? Seine Haut ist förmlich an seinem Leib verfault, und er hat aus den Augen geblutet. Isabelle Davis musste ausgelöscht werden.«
Aprils Herz hämmerte. Wie hatte sie sich von Davina so einwickeln lassen können? Zu glauben, sie hätte noch so etwas wie menschliche Züge und könnte Schmerz und Reue empfinden? Alle Vampire waren gleich. Sie waren Killermaschinen, mehr nicht. Unvermittelt wurde ihr bewusst, in welcher Gefahr Gabriel
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