Der schlafende Engel
mehr als ein Flüstern. »Ich streife durch die Straßen wie ein Wolf, es ist als … als würde ich alles durch die Augen einer blutrünstigen, von Hunger und Gier getriebenen Kreatur sehen. Ich habe nur einen Wunsch – zu töten, Blut zu trinken und wieder zu töten.«
April zwang sich, ihm weiter ins Gesicht zu sehen, obwohl sie es kaum ertragen konnte. Die Worte, die aus seinem Mund kamen, klangen grauenhaft, doch seine Züge erhellten sich immer weiter, ein fast überirdisches Leuchten lag in seinen Augen, als bereite ihm das, was er vor sich sah, Vergnügen.
»Aber es sind nur Träume, Gabriel.«
»Sind sie das?« Sein Tonfall wurde eine Spur schärfer. »Bist du dir da ganz sicher, April? Denn ich sehe den Zweifel in deinen Augen. Ich kann deine Angst riechen.«
»Ja, es stimmt, ich habe Angst«, rief sie. »Das ist doch klar, weil ich sehen kann, was es mit dir anstellt. Aber ich fürchte mich nicht vor dir. Ich weiß, wer du bist und wozu du fähig bist. Ja, du bist ein Vampir. Na und? Du bist trotzdem nicht wie sie.«
»Aber genau darum geht es doch, verstehst du das denn nicht?«, sagte er. »Ich dachte die ganze Zeit, ich sei anders als sie, aber jetzt weiß ich es. Ich bin ein Killer, mehr nicht.«
Sie packte ihn am Revers und zog ihn zu sich heran.
»Nein, Gabriel«, erklärte sie eindringlich. »Du bist viel mehr als das. Du bist anders! Sonst könnte ich dich niemals lieben, verstehst du das denn nicht?« April spürte, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Sie hatte nur einen einzigen Wunsch – ihn in Sicherheit zu wissen. Doch er drohte ihr bereits zu entgleiten.
»Bitte, Gabe, was auch immer passiert ist, wir werden es schaffen. Wir kriegen das wieder hin, egal, was es sein mag.«
»Nein, nicht wir. Nicht du.« Behutsam löste er ihre Hände von seiner Jacke. »Diesmal muss ich es wieder in Ordnung bringen. Deshalb wollte ich herkommen und es dir sagen. Ich weiß, was ich tun muss, damit die Träume aufhören, und ich weiß auch, woher sie kommen.«
»Woher? Wohin willst du?«
»Ich muss zum König, April. Der König hat mir das angetan. Und ich weiß auch, wer er ist.«
»Wer? Wer ist es?«
Doch Gabriel schüttelte nur traurig den Kopf und trat einen Schritt zurück.
»Bitte, Gabriel!«, rief April und spürte, wie Hysterie in ihr aufzusteigen begann. Gabriel war drauf und dran, sich in die Höhle des Löwen zu begeben, und sie konnte nichts dagegen tun. »Sag es mir. Lass mich dir helfen!«
»Diesmal nicht, Furie«, sagte er lächelnd und wandte sich zum Gehen. »Das hier muss ich allein hinkriegen.«
»Aber warum?«, rief sie.
»Du musst mir vertrauen. Nur noch dieses eine Mal, okay?«
Er legte sich zwei Finger auf die Lippen und warf ihr seinen Abschiedskuss zu, dann wandte er sich um und begann zu laufen.
»Gabriel! Bitte!«, rief sie und lief ihm nach, musste jedoch voller Verzweiflung zusehen, wie sich der Mann, den sie liebte, immer weiter entfernte.
Als sie endlich zum Tor gelangte, war nichts mehr von ihm zu sehen.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
S ie stürzte durch die Haustür.
»Davina!«, rief sie. »Bist du da?«
Ein Geräusch drang aus der Küche. Als sie die Tür aufriss, sah sie Davina am Küchentresen, den Kopf auf die Arbeitsplatte gelegt. Neben ihr stand ein leeres Glas.
»Los, wach auf!« Unsanft rüttelte April sie an der Schulter. »Ich muss mit dir reden.«
»Wsss?« Davina hob den Kopf und schlug ein Auge auf. »Was soll denn dieser Lärm?« Sie presste sich eine Hand auf die Stirn. »Gott, wie spät ist es?«
»Hier.« April griff nach der Weinflasche und schenkte Davina ein. »Los, trink. Wir müssen reden. Jetzt sofort.«
Davina kippte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter und stellte es vor sich auf die Arbeitsplatte, damit April nachschenken konnte.
»Also gut«, sagte sie. »Was ist so wichtig, dass du mich aus einem Traum von Bear Grylls und einem Wasserbett reißen musst?«
April zog einen Hocker heran und setzte sich.
»Du musst mir sagen, wer der König ist.«
Davina brach in Gelächter aus, das jedoch in einen heftigen Husten umschlug, als sie sich an ihrem Wein verschluckte.
»Wie kommst du auf die Idee, dass ich es weiß? Ich gehöre nicht mehr dazu, schon vergessen?«
»Ich habe mich gerade mit Gabriel getroffen, und er sagt, er weiß es.«
Plötzlich schien Davina hellwach zu sein.
»Was hat er gesagt?«
»Nichts. Wie üblich. Er wollte mir den Namen nicht verraten und auch nicht, wohin er will.«
Davina
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