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Der schlafende Engel

Der schlafende Engel

Titel: Der schlafende Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia James
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April. April Dunne. Wir haben uns bei Miss … äh, bei Annabels Begräbnis kennengelernt.«
    Stille.
    »Ich weiß, wer Sie sind, April«, sagte Mrs Holden.
    »Sie sagten damals, ich könnte jederzeit anrufen, wenn ich jemanden zum Reden bräuchte.«
    »Es passiert, hab ich recht?«
    Am liebsten hätte April »Was passiert?« gefragt, doch die Zeit für derartige Spielchen war vorbei. Außerdem hatte sie Elizabeth Holden angerufen, weil sie die Einzige war, mit der sie offen sprechen konnte, der sie nicht erst die Situation darzulegen brauchte und die niemals so etwas wie »Was? Vampire? Sind Sie verrückt?« sagen würde.
    »Ja«, antwortete April. »Ich dachte, es passiert in Ravenwood, aber es ist viel größer, Mrs Holden. Politiker, Geschäftsleute, sie alle hängen mit drin.«
    »Es wundert mich, dass es so lange gedauert hat«, sagte Elizabeth Holden. »Und ich vermute, Sie wollen jetzt von mir wissen, was Sie tun sollen.«
    »Ja, ich meine, natürlich weiß ich, was ich tun muss, aber eben nicht, wie.«
    »Tut mir leid, April, aber das ist Blödsinn. Ich will es auf den Punkt bringen: Die Vampire stehen im Begriff, die Macht zu übernehmen, richtig?«
    »Ja.«
    »Gut. Und wessen Plan ist das Ganze? Wer steht hinter den Vampiren?«
    »Der König«, antwortete April.
    »Genau. Was müssen Sie also tun?«
    »Ich muss ihn aufhalten, aber …«
    »Nein, April, Sie müssen den Vampirkönig töten . Es gibt keine andere Möglichkeit, sie aufzuhalten. Und niemand sonst hat die Macht, ihn zu zerstören.«
    »Aber ich weiß ja noch nicht einmal, wer der verdammte König ist!«, schrie April und sah sich hektisch um. Hoffentlich hatte sie keiner gehört. Sie senkte die Stimme. »Und selbst wenn ich es wüsste – wie soll ich an ihn herankommen? Ich brauche Hilfe, Mrs Holden. Ich brauche die Wächter.«
    Lange Zeit herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung.
    »Die Wächter sind nicht die Lösung, April. Meine Tochter war wohl die Einzige, die ihre Aufgabe ernstnahm. Keiner der anderen will das Risiko eingehen.«
    »Wieso nicht?« Ein Anflug von Verzweiflung schlich sich in ihre Stimme. »Ich dachte immer, die Wächter hätten geschworen, mir zu helfen. Ich bin schließlich die Furie.«
    »Theoretisch stimmt das auch, aber ich bin nicht sicher, ob ein Schwur heute noch dasselbe Gewicht hat wie früher. Vielmehr stelle ich fest, dass die Leute meistens das tun, woraus sie den größten Nutzen für sich ziehen. Empfinden Sie das nicht genauso?«
    Diese Worte passten zu all jenen, die im Crichton Club wie gebannt aufs Podium geblickt hatten. Es war deprimierend, dass die Geschöpfe auf beiden Seiten genauso dachten.
    »Was soll ich also tun? Wie soll ich den König finden?«
    »Oh, die Frage ist nicht, wie Sie ihn finden«, meinte Mrs Holden. »Sondern vielmehr, ihn zu erkennen . Ich bin ziemlich sicher, dass Sie ihm bereits begegnet sind.«
    » Was ?«
    Mrs Holden lachte leise.
    »Vampire verkriechen sich nicht in Schlössern in Transsilvanien, April, sondern leben direkt vor unserer Nase. Sie sitzen neben dir in der Schule, verbergen sich hinter der Fassade eines Lehrers, eines Polizisten, eines Arztes. Sie hätten heute Morgen auf der Straße an ihm vorbeigehen können, ohne es zu wissen.«
    »Aber wie soll ich das anstellen? Schließlich läuft er wohl kaum mit einer Krone auf dem Kopf herum, oder?«
    »›Verstecken können sie sich, man muss bloß den richtigen Stein umdrehen‹, hat mein Mann immer gesagt. Halten Sie die Augen offen, April. Am Ende treten Sie schon auf den Wurm.«
    April ging die überwucherten Pfade entlang bis zum Hauptweg ein Stück unterhalb des Grabs von Karl Marx. Sie blieb stehen und betrachtete einen Moment lang den großen steinernen Kopf. Im Grunde war er nur ein alter Mann mit einem dichten Bart, und zwar ein reichlich finster dreinblickender. Er erinnerte sie an ihren Großvater, wenn er sich mit ihrer Mutter in der Wolle hatte. Was so ziemlich die meiste Zeit der Fall war. Unterhalb seines Kopfes befand sich eine goldfarbene Inschrift:
    Workers of All Lands Unite.
    The philosophers have only interpreted
the world in various ways;
the point is to change it.
    Proletarier aller Länder vereinigt euch. Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern . April dachte über seine berühmten Worte nach, während sie zum Haupteingang weiterging. Er hatte durchaus recht, der gute alte Karl. Man mochte noch so lange über etwas

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