Der schlafende Engel
langsam.
Bei genauerem Hinsehen fiel April auf, dass seine Augen ganz glasig waren und sein Blick ruhelos umherirrte. Oh Gott, er nahm doch wohl keine Drogen, oder? Simon war stets so vernünftig und bodenständig gewesen, aber wenn ihm tatsächlich eine Horde glamouröser Vampire den Kopf verdreht hatte, war schwer abzuschätzen, wie er sich verhalten würde. Vor ihr stand ein Simon, den sie nicht kannte, das war die bittere Wahrheit.
»Cal sagt, du hängst mit Dr. T. ab«, fuhr Chrissy fort. »Er hat dich wohl unter seine Fittiche genommen.«
»Das ist sicher nicht das Einzige, was er sich genommen hat, darauf gehe ich jede Wette ein«, warf Simon mit einem lüsternen Grinsen ein.
April starrte ihn finster an.
Dass Simon sich gern mit den Schlangen abgab, war eine Sache, aber dass er nun denselben beißenden Sarkasmus an den Tag legte, war ihr neu.
»Nein, nein, dafür ist der supertolle Gabriel zuständig, stimmt’s, Baby?«, meinte Ling.
»Das kann ich ihr nicht verdenken«, warf Chessy ein. »Manchmal wünsche ich mir heute noch, er käme mich mitten in der Nacht besuchen.«
Gabriel und Chessy ?, dachte April entsetzt. Das war völlig unmöglich. Chessy wollte sie nur hochnehmen. Oder? Doch dann fiel ihr die Geburtstagsparty bei Davina wieder ein, als Chessy mit Gabriel nach oben verschwunden war. Allein bei dem Gedanken wurde ihr speiübel – allerdings konnte sie einen Anflug von Eifersucht nicht leugnen. Wenn man bedachte, dass sie Gabriel niemals küssten konnte, weil ein Kuss von ihr seinen sicheren Tod bedeuten würde, konnte sie in ihrer Rolle als seine Freundin nicht gerade glänzen. Chessy und Gabriel konnten sich hingegen ohne jede Scheu küssen – oder Gott weiß was sonst noch –, und was das betraf, konnte April nun einmal nicht mithalten.
»Was hast du eigentlich am Samstag vor?«, erkundigte sich Ling.
»Äh … gar nichts … denke ich zumindest«, stammelte April und fragte sich, worauf die Frage hinauslief.
Ling und Chessy lächelten einander zu.
»Sehr gut«, meinte Ling. »Weil ich nämlich eine kleine Party chez nous geplant habe und mich gerade frage, ob du nicht vielleicht kommen möchtest.«
»Und bring Gabriel mit.« Chessy schnurrte förmlich, als sie seinen Namen sagte. »Ich würde ihn so gern wiedersehen.«
»Und bring Caro mit«, sagte Simon, was ihm einen vernichtenden Blick von Ling einbrachte.
»Klar, wieso nicht?«, meinte Chessy, die die gereizte Stimmung zwischen den beiden sichtlich genoss. »Vielleicht kann sie ja welche von ihren Käsehäppchen mitbringen.«
April nickte bloß. »Tja, dann bis Samstag«, meinte sie und schob sich an ihnen vorbei auf den Bürgersteig.
»Freu mich schon«, trällerte Chessy.
Zutiefst gekränkt stapfte April den Hügel hinauf. Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass sie sich über sie lustig machten. Die Idee, sich unter die Blutsauger zu mischen, war eindeutig gescheitert, so viel stand fest. Dr. Tame mochte sie als eine Art Zirkusaffen engagiert haben, aber wenn sie das Vertrauen der Schlangen gewinnen wollte, würde es nicht genügen, dass Dr. Tame offiziell die Hand über sie hielt. Sie dachte an jenen eisigen Nachmittag zurück, als Ling sich ihr auf der Bank vor der Kirche anvertraut hatte. Damals hatte es den Anschein gehabt, als hätte sie Angst vor dem, was in Ravenwood vorging, als ekle es sie regelrecht an. Und jetzt? Offensichtlich hatte Ling nahtlos Davinas Platz als Bienenkönigin in der Honigfalle von Ravenwood eingenommen. Sie mochte noch keine richtige Vampirin sein, was sie jedoch nur umso gefährlicher machte, da die Blutsauger sie nach allen Regeln der Kunst verführt und auf ihre Seite gebracht hatten.
»Mist«, stieß April hervor. Die Begegnung mit den Schlangen hatte sie derart aus dem Konzept gebracht, dass sie instinktiv den Weg zum Pond Square eingeschlagen hatte. Du wohnst nicht mehr hier, Dummkopf, sagte sie sich und bog in die Swain’s Lane ein, die zur U-Bahn führte. Es schien, als könnte sie im Moment einfach nichts richtig machen. Es war ihr nicht gelungen, Gabriel zu helfen, Dr. Tame benutzte sie schamlos für seine Zwecke, und nicht einmal die Blutsauger ließen sich dazu bewegen, sich mit ihr anzufreunden. Und im Grunde konnte sie es ihnen nicht verdenken. Vampire seien von Natur aus argwöhnisch, und April sei ganz besonders verdächtig für sie, sagte Gabriel immer. Sie hatte den Brand in Mr Sheldons Haus unbeschadet überstanden – das bedeutete, dass sie entweder Riesenglück
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