Der schlafende Engel
meinte, du könntest dich ganz offiziell an ihn wenden, nach dem Motto: Schulsprecherin der Londoner Top-Schule zeigt sich mit Top-Politiker . Die Gelegenheit für ein Foto mit dir wird er sich wohl kaum entgehen lassen. Vielleicht erfährst du ja dabei irgendetwas.«
Gabriel nickte.
»Er wäre perfekt für die Vampire. Politiker brauchen finanzielle Unterstützung und inhaltlichen Rückhalt. Genau den könnten sie ihm geben, und er könnte als Gegenleistung seinen Einfluss in ihrem Sinne geltend machen, sobald er erst einmal an der Macht ist.«
»Na gut, er steht schon auf der Liste.« April notierte seinen Namen. »Wer noch?«
»Dein Großvater hat doch erstklassige Beziehungen, oder nicht?«, sagte Caro. »Er hat Freunde bei der Polizei und in der Wirtschaft. Wieso fragen wir ihn nicht?«
Aprils Magen verkrampfte sich. Ein Gespräch mit einem Politiker oder der Versuch, sich beim Rektor einzuschleimen, war eine Sache, aber ihren Großvater mit hineinzuziehen, erschien ihr nicht richtig, vor allem, nachdem er sich während der vergangenen Monate so rührend um sie gekümmert hatte. Sie hätte das Gefühl, sein Vertrauen zu missbrauchen. Außerdem würde er sich nach den jüngsten Geschehnissen sicher nicht auf ein korruptes Spiel und Vampire einlassen.
»Vergesst es«, sagte sie. »Dr. Tame hat schon mit ihm geredet – darüber, dass ich unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Er nimmt mich nie im Leben ernst. Vermutlich schickt er mich sogar zum Psychiater. Trotzdem werde ich meine Funktion als Schulsprecherin ausnutzen und versuchen, so viel wie möglich über Doctor Death herauszufinden.«
April sah ihren Freunden an, dass sie es kaum erwarten konnten, endlich loszulegen. Zum ersten Mal seit dem Brand in Sheldons Haus hatte sie das Gefühl, dass sie wieder fest im Sattel saßen – und etwas unternahmen, statt bloß auf der Stelle zu treten. Und offen gestanden gefiel ihr die Vorstellung, dass andere sie um Rat fragten und sich auf sie verließen. Vielleicht hatte die Funktion als Schulsprecherin ja doch ihren Reiz. Nun musste sie sie nur noch in die Schlacht führen. Der reinste Sonntagsspaziergang , dachte sie mit einem ironischen Lächeln.
»Okay, Fee, dann sieh zu, dass du so viel wie möglich über diesen David Harper herausfindest«, sagte sie. »Vielleicht stoßen wir ja auch noch auf andere Politiker, die für die Vampire interessant sein könnten. Caro, du konzentrierst dich auf den wissenschaftlichen Teil. Rede mit den Lehrern in den Laboren in der Schule. Vielleicht bringst du ja in Erfahrung, wie eng die Verbindung zu Agropharm ist. Biete ihnen Hilfe bei den Recherchen an. Ich halte mich an Tame. Möglicherweise hilft mir seine Publicitygeilheit, an David Harper heranzukommen.«
»Okay, Boss«, sagte Caro, doch niemand lächelte. Diesmal kannten sie ihren Gegner. Sie wussten, dass er tödlich war. Die Zeit für Späße war vorbei.
»Und was soll ich tun?«, fragte Gabriel, schob ihr Haar zur Seite und küsste ihren Hals.
»Mach einfach mit dem weiter, was du gerade tust«, sagte sie lächelnd.
Caro war mit dem Taxi nach Hause gefahren und Fiona im Cyberspace verschwunden, während sie allein mit dem Mann, den sie liebte, in ihrem Zimmer zurückgeblieben war – der Reiz des Verbotenen ließ sich nicht leugnen. Es hatte durchaus seine Vorteile, in einem Haus mit einem Butler zu leben. Grandpa schien Stanton als eine Art Anstandswauwau zu betrachten – solange er sich im Haus aufhielt, hatte keiner etwas dagegen, dass Gabriel zu Besuch kam. April sah zur Tür, als sie der dumpfe Verdacht beschlich, Stanton könnte sie durchs Schlüsselloch beobachten.
»Ich bin wirklich froh.«
»Worüber?«
»Dass du das Ruder in die Hand nimmst. Ich bin so stolz auf dich.«
»Ich habe schließlich keine andere Wahl, oder?«
»Falsch. Man hat immer eine Wahl, und trotzdem tust du das Richtige. Selbst wenn es am Ende nicht funktionieren sollte.«
Sie sah ihn an.
»Selbst wenn ich am Ende sterben sollte, willst du damit sagen?«
»Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendjemand etwas antut«, stieß Gabriel leidenschaftlich hervor. Genau dasselbe hat meine Mum auch gesagt , dachte April.
»Das weiß ich doch«, sagte sie leise. »Aber seltsamerweise macht mir das Risiko dabei überhaupt nichts aus. Das Einzige, was für mich zählt, bist du. Dass ich dich zurückhole. Die Vorstellung, dich nie richtig küssen zu können, ist unerträglich.«
Er grinste.
»Oh, aber du kannst mich
Weitere Kostenlose Bücher