Der schlafende Engel
die vor der Tür auf uns warten. Und was haben wir? Euch drei im alten Zimmer deiner Mutter und mich, die hier oben in Schottland festsitzt. Das klingt nicht gerade nach Chancengleichheit.«
»Pfeif auf die Chancengleichheit!«, rief April, die ihre Wut nicht länger zügeln konnte. »Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen sie aufhalten. Wir müssen . Sonst sterben zahllose Menschen. Gabriel, sag du es ihnen!«
Gabriel schloss die Augen und nickte. »Du hast recht. Natürlich.«
April sah ihre Freunde an, um sicherzugehen, dass ihnen das Ausmaß der Bedrohung klar war.
»Ich weiß, dass all das beängstigend klingt, aber wir haben keine Zeit mehr, hier und da Schnipselchen zusammenzuklauben, um uns einen Reim auf das zu machen, was hier vorgeht. Wir müssen den Anführer der Vampire finden und ihn töten. Jetzt. So einfach ist das.«
»Einfach«, ätzte Caro, doch April wandte sich ihr zu.
»Ja, Caro. Einfach, ganz einfach. Sieh dich doch mal um. Was passiert denn die ganze Zeit an der Schule? Uns läuft die Zeit davon. Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, können wir das Ganze vergessen. Wir werden verlieren. Alle werden verlieren – ihre Familie, Freunde, alles.
»Das mag ja sein, aber was sollen wir tun?«, fragte Fiona.
April sah zum Bildschirm. Trotz des Mitgefühls registrierte April auch leisen Zweifel auf ihren Zügen. Selbst ihre beste Freundin mit ihrem Pragmatismus und ihrer Entschlusskraft war nicht sicher, ob sie es schaffen konnten.
»Wir werden kämpfen, Fee«, sagte sie leise. »Ja, du hast recht, wir sind nur zu viert, und sie haben Tausende auf ihrer Seite, aber wir haben den Überraschungseffekt auf unserer Seite.«
»Und wir haben dich«, warf Gabriel ein.
Caro schnitt eine Grimasse.
»Hey, ich sage das nicht, weil ich herumschleimen will«, meinte er.
»Tust du aber«, widersprach Caro grinsend.
»Na gut, vielleicht ein kleines bisschen. Trotzdem: April ist die Furie und damit unsere Geheimwaffe. Zumindest hoffen wir, dass ihre Existenz noch geheim ist. Durch sie haben wir die Macht, jeden Vampir zu töten, ob nun von Geburt an oder verwandelt. Und damit nicht genug, denn die Furie ist das Einzige auf der Welt, wovor sich Vampire fürchten. Wenn es uns gelingt, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie verletzlich sind, verschafft uns das vielleicht einen winzigen Vorteil, und ein winziger Vorteil ist immer noch besser als gar keiner.«
Inzwischen hatte Gabriel sich vorgebeugt und gestikulierte voller Eindringlichkeit. Zum ersten Mal an diesem Abend hatte April das Gefühl, als könnten sie es tatsächlich schaffen.
»Am Abend des Brands hat Sheldon etwas gesagt«, warf sie ein. ›Eine Gefahr, die tödlicher ist als nur ihr Blut‹, so hat er es ausgedrückt. Deshalb wollte er mir um jeden Preis die Kehle aufschlitzen und mein Blut im Waschbecken auffangen. Dadurch hätte er quasi die Atombombe gehabt. Er hätte sie noch nicht einmal zu zünden brauchen, sondern es hätte genügt, damit zu drohen.«
April traute ihren Ohren nicht – dass sie so über sich selbst sprach, dass jenes Blut, das durch ihre Venen floss, inzwischen zu einer tödlichen Waffe in einem Krieg geworden war … Aber sie musste alles nutzen, was sie zur Verfügung hatten, auch wenn es noch so unheimlich war.
»Aber was ist mit den Wächtern?«, fragte Caro. »Sollten sie die Furie nicht beschützen? Und irgendeine Idee haben, was zu tun ist?«
April sah zu Gabriel hinüber, dem das Unbehagen ins Gesicht geschrieben war. Die Wächter hatten sich geschworen, sämtliche Vampire zu töten, ohne zwischen »guten« und »bösen« zu unterscheiden, außerdem war sie ziemlich sicher, dass er ihnen nicht über den Weg traute. Auch Elizabeth Holden hatte davor gewarnt, ihnen zu vertrauen. Vielleicht war Annabel Holden die letzte Wächterin gewesen, die tatsächlich helfen wollte.
»Na gut, ich bin dabei«, sagte Fiona. »Was soll ich tun?«
Eine Woge der Erleichterung durchströmte April. Vor wenigen Minuten hatte sie noch gedacht, sie müsste die Sache ganz allein durchziehen. Trotzdem hatte ihr Entschluss festgestanden: Wenn es nicht anders ginge, würde sie es eben tun. Sie hatten keine andere Wahl, daran gab es nichts zu rütteln. Sie konnte nicht untätig herumsitzen und zusehen, wie die Welt um sie herum zusammenbrach; schon gar nicht, wenn sie die Macht hatte, es zu verhindern.
»Okay. Das Allerwichtigste ist, den Vampirkönig zu finden. Vermutlich ist er derjenige, der hinter Ravenwood steht und die groß
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