Der schlafende Engel
Mrs Townley und biss in eines der Törtchen. »April, richtig? Und Sie handeln sich nach wie vor Ärger ein, richtig?«
April lachte. »Ja, das kann man wohl sagen.«
»Sind es wieder die Vampire?«
April verschluckte sich um ein Haar an ihrem Tee.
»V-vampire?«, wiederholte sie keuchend.
»Sie brauchen mich gar nicht so verdattert anzusehen, Herzchen. Ich weiß noch, wie Sie in die Bibliothek gekommen sind, weil Sie nach Büchern über Vampire gesucht haben. In einer Schule wie Ravenwood? Das ist ja fast, als würdest du mit einem roten Tuch vor einem Stier wedeln.«
»Marjorie«, warf Mr Gill ein. »April will von deinen abstrusen Theorien nichts hören.«
»Theorien? Pah!«, gab die alte Dame zurück. »April weiß besser als jeder andere, dass das keine abstrusen Theorien sind. Ihre Narben sind wohl Beweis genug dafür, finden Sie nicht auch, Schätzchen?«
April sah von einem zum anderen.
»Von welcher Theorie sprechen Sie?«
»Davon, dass Ravenwood als Fassade für eine riesige Vampirverschwörung dient«, antwortete die alte Frau achselzuckend. »Und dass sie sich auf einen Krieg vorbereiten.«
»Ich bitte dich«, warf Mr Gill ein. »In Wahrheit wissen wir doch gar nichts. Du machst dem armen Mädchen nur unnötig Angst.«
»Schon gut, schon gut«, wiegelte Mrs Townley ab und hievte sich mit einem leisen Ächzen von ihrem Stuhl hoch. »Ich werde euch beide jetzt euch selbst überlassen. Steckt ihr ruhig weiter den Kopf in den Sand.«
Sie sahen zu, wie die alte Dame verschwand. Einen Moment lang herrschte verlegene Stille, dann wehten gedämpfte Klänge aus dem Hinterzimmer, bei denen es sich um Dubstep handeln musste.
»Lass dich von Marjorie nicht durcheinanderbringen«, sagte Mr Gill schließlich. »Sie redet gern, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.«
»Das habe ich gemerkt«, gab April zurück und stellte ihren Teebecher beiseite. »Aber was hat sie mit diesem Krieg gemeint?«
»Wie gesagt, das ist nur ihre Theorie, mein Kind. Ich fürchte, sie hegt einen tiefen Groll gegen die Schule, weil sie sie gezwungen haben, in den Ruhestand zu gehen. Möglicherweise warst du zu dieser Zeit gerade im Krankenhaus. Jedenfalls überlegen sie sogar, die Chandler Library zu schließen, mit dem Argument, dass heutzutage sowieso jeder online recherchiert. Außerdem brauchen sie den Platz für ihre Forschungslabore.«
»Aber was glauben Sie? Ist an dieser Theorie über den Krieg etwas dran?«
Der alte Mann wirkte nachdenklich.
»Wenn du mir schon so eine direkte Frage stellst, will ich dir eine direkte Antwort geben. Ich bin sicher, dass es stimmt. Schon seit Jahren spüre ich, dass etwas geschieht. Schon seit den Sechzigern. Und es wird schlimmer, so viel steht fest. Aber dir brauche ich das ja nicht zu sagen, schließlich hast du es am eigenen Leib erfahren. Und ich fürchte, es wird noch schlimmer werden, bevor es sich zum Besseren wendet. Früher haben sie sich verborgen gehalten, aber jetzt? Sie töten wahllos, als kümmere es sie nicht im Geringsten, ob man sie dabei beobachtet. Für mich ist das ein Anzeichen dafür, dass sie im Begriff stehen, endgültig loszuschlagen. Und wenn das erst einmal passiert ist, wird niemand sie mehr aufhalten können.« Er musterte sie mitfühlend. »Das ist wahrscheinlich nicht das, was du hören wolltest, aber so sieht es nun einmal aus.«
Ehrlich gesagt, war April sogar dankbar für seine Offenheit. Nach all der Geheimniskrämerei und den Andeutungen, aus Angst, die falschen Leute anzusprechen, tat es gut, dass endlich einmal jemand Klartext redete.
»Ich danke Ihnen, dass Sie mir gegenüber so offen sind, Mr Gill. Die meisten Leute verschließen lieber die Augen vor dem, was sich vor ihrer Nase abspielt.«
»Ich kann mir vorstellen, was für eine schwere Bürde das ist«, fuhr der alte Mann fort und goss noch etwas Tee in ihren Becher. »Falls dir das ein Trost sein sollte – wenn auch nur ein kleiner –, aber all das passiert nicht zum ersten Mal.«
»Wirklich? Inwiefern?«
»Oh, die Dunkelheit ist auch schon früher über uns gekommen. Hier, aber auch in anderen Teilen von Großbritannien und definitiv in Osteuropa – diese Hammer-Horrorfilme sind nicht zufällig in Transsilvanien angesiedelt. Es gibt massenhaft ausführlich dokumentierte Berichte über Begegnungen mit Vampiren, die fünfhundert Jahre zurückreichen; und zwar nicht nur Mythen und wilde Geschichten über Menschen, die sich in Fledermäuse verwandeln.«
Er beugte sich vor und berührte
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