Der schlafende Engel
Wahrheit hören? Sie hatte ihm versprochen, die Wahrheit zu sagen, deshalb hatte sie keine andere Wahl, als darauf zu antworten.
»Ich glaube, es war eine Botschaft an mich.«
Reece runzelte die Stirn.
»Eine Botschaft? Was für eine Botschaft?«
»Jemand will mir Angst machen, mir sagen, dass sie mich jederzeit kriegen können.«
»Aber wer sollen sie sein? Wer hat dir diese Botschaft geschickt?«
Sie schloss die Augen.
»Die Vampire«, antwortete sie leise.
»Die Vampire«, wiederholte er. »Du behauptest also, ein Vampir hätte das getan.«
April sah auf. »Genau.«
»Herrgott noch mal, April«, schrie Reece so laut, dass April zusammenfuhr. »Ist das alles? Ich bitte dich darum, mir gegenüber ehrlich zu sein, und dann kommst du mir damit? Nach allem, was ich für dich getan habe? Vampire? «
»Ich wollte es Ihnen schon die ganze Zeit sagen, Mr Reece. Ich dachte nur …«
»Du dachtest, dass ich dir nicht glauben würde, ja? Willst du mir das sagen? Tja, und siehe da – ich glaube dir tatsächlich nicht. Entschuldige, April, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft damit große Chancen auf eine Verurteilung hätte. Verdammt!« Frustriert schlug er mit der flachen Hand auf den Fensterrahmen ein.
»Und bestimmt erzählst du mir gleich, dass Isabelle, Layla und Benjamin Osbourne allesamt von Dracula und seinen Kumpels getötet wurden, stimmt’s?«
»Nein, Benjamin war selbst ein Vampir«, murmelte April, den Blick auf ihre Hände geheftet.
»Wie war das?« Reece beugte sich vor und legte sich die Hand hinters Ohr. »Ich glaube, ich habe mich verhört. Willst du mir allen Ernstes erzählen, Benjamin hätte Annabel Holden getötet, weil er ihr Blut trinken wollte?«
Er blickte gen Zimmerdecke und stieß ein ironisches Lachen aus.
»Und ich habe mir eingebildet, wir hätten eine Vertrauensbasis zueinander aufgebaut, April. Ich dachte, zwischen uns würde so etwas wie gegenseitiger Respekt herrschen. Wie konnte ich nur so blöd sein? Die ganze Zeit hast du mich für dumm verkauft!«
»Nein, Mr Reece, wirklich nicht. Ich habe doch gleich gewusst, dass ich nichts hätte sagen dürfen.«
»In diesem Punkt muss ich dir ausnahmsweise recht geben, April.«
In diesem Moment ertönte ein leises Klopfen an der Tür, dann öffnete sie sich und Stanton erschien. Er räusperte sich.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung, Sir, aber jemand ist am Telefon für Sie. Es sei dringend.«
Reece seufzte tief, dann nickte er resigniert.
»Du wartest hier«, sagte er mit einer Geste in Aprils Richtung und folgte Stanton hinaus. »Ich bin noch nicht fertig mit dir. Noch lange nicht.«
April sackte auf ihrem Stuhl zusammen und barg das Gesicht in den Händen. »Was hast du jetzt bloß wieder angerichtet, April«, stöhnte sie. »Das war so dumm von dir, so unfassbar dumm.«
Sie konnte es dem Polizisten nicht verdenken, dass er so reagierte, definitiv nicht. Was hatte sie erwartet? Dass er »Ach, tatsächlich? Vampire! Natürlich, das ist der große Durchbruch, auf den ich die ganze Zeit gewartet habe. Endlich ergibt alles einen Sinn!« rief? Wieso war sie so naiv gewesen? Mit ihrer Enthüllung hatte sie ihre Beziehung zu Mr Reece in Grund und Boden gestampft und einen der wenigen Menschen vergrault, der auf ihrer Seite war. Und wofür? Nur damit sie sich besser fühlen konnte, weil sie die Wahrheit gesagt hatte. Tja, das Problem war nur, dass sie sich nicht besser fühlte. Ganz im Gegenteil.
Reece kam wieder herein. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute – zumindest aus deiner Perspektive – ist, dass wir Bildmaterial aus der Überwachungskamera in der U-Bahnstation Covent Garden sicherstellen konnten. Es sieht ganz so aus, als wäre Gabriel in die entgegengesetzte Richtung gelaufen, deshalb gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass er auch nur in die Nähe des Hauses gekommen ist.«
Sie nickte und wartete auf die schlechte Nachricht.
»Die schlechte Nachricht ist, dass mir Detective Chief Inspector Johnston die gute Nachricht überbracht hat. Bestimmt erinnerst du dich an ihn. Und Mr Johnston ist alles andere als begeistert von dem Mord.«
»Aber Mr Reece …«
Der Polizist hob eine Hand.
»Ich bin noch nicht fertig, April«, sagte er. »Und soll ich dir auch verraten, warum? Weil dieser Mord in Covent Garden passiert ist, und ich weiß nicht, ob du heute Morgen schon zum Fenster hinausgesehen hast, aber da draußen wimmelt es von Fernsehteams: Sky News, BBC 24, ja
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